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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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nicht; sein so ödes, frostiges Kabinet verwandelte sich in einen Salon der guten Gesellschaft. Der phlegmatische Schreiber bereitete sich von Neuem zum Protokolliren vor.
    »Ein Zeuge hat von einer Depesche gesprochen, die Ihr Herr Bruder empfangen und die ihn sofort nach Doinville gerufen haben soll … Wir haben eine solche Depesche nicht auffinden können. Haben Sie eine solche an Ihren Herrn Bruder gerichtet?«
    Die sehr aufgeräumte, freundlich lächelnde Frau Bonnehon antwortete ganz im Tone freundschaftlichen Geplauders.
    »Ich habe meinem Bruder nicht geschrieben, ich erwartete ihn allerdings, ich wußte, daß er kommen würde, aber ein bestimmter Tag war nicht festgesetzt worden. Gewöhnlich fiel er mir unvermuthet in’s Haus und meistens in der Nacht. Da er einen alleinstehenden Pavillon im Park bewohnte, der sich auf eine öde Landstraße öffnete, so haben wir ihn nie ankommen gehört. Er miethete in Barentin einen Wagen und zeigte sich mitunter erst sehr spät am nächsten Tage, wie wenn ein seit langem bei mir heimischer Nachbar auf freundschaftlichen Besuch kommt … Diesmal erwartete ich ihn deshalb, weil er mir behufs eines Ausgleichs unsres Contos zehntausend Franken bringen wollte. Er hatte diese Summe jedenfalls bei sich. Aus diesem Grunde glaube ich auch noch immer, daß man ihn ermordete, um ihn berauben zu können.«
    Der Richter erwiderte nicht gleich, dann sah er ihr scharf in’s Gesicht und fragte:
    »Was halten Sie von Frau Roubaud und ihrem Manne?«
    Sie machte eine Bewegung heftiger Abwehr.
    »Aber mein lieber Herr Denizet, Sie werden doch diesen braven Leuten nichts in die Schuhe schieben wollen … Séverine war ein gutes, sehr sanftes, ja selbst sehr gelehriges, überaus entzückendes Kind, sie kann sich nicht verschlechtert haben. Da Sie es wünschen, so wiederhole ich nochmals ausdrücklich, daß ich die Beiden keiner ehrlosen Handlung für fähig halte.«
    Der Richter nickte mit dem Kopfe, er warf einen triumphirenden Seitenblick auf Frau von Lachesnaye, die pikirt jetzt intervenirte.
    »Ich finde. Du bist sehr leichtgläubig, liebe Tante.«
    »So lasse mich nur Berthe, über diesen Punkt werden wir Beide uns doch nie verständigen … Sie war stets fröhlich und lachte gern, sie that recht so … Ich weiß genau, wie Ihr, Du und Dein Gatte, gesinnt seid. Aber jetzt muß das Geldinteresse Euch vollends den Kopf verdreht haben, sonst würdet Ihr nicht so erstaunt über das der guten Séverine seitens Deines Vaters gemachte Legat von la Croix-de-Maufras sein. Er hat sie erziehen lassen, er hat sie ausgestattet, nichts natürlicher, als daß er sie auch in seinem Testament bedachte. Hat er sie nicht geradezu als seine leibliche Tochter angesehen? … O, meine Liebe, das Geld ist doch ein so unbedeutender Faktor des Glücks!«
    Ihr, die stets in größtem Ueberfluß gelebt, war jedes materielle Interesse völlig fremd. Mit dem Raffinement einer angebeteten Frau lehrte sie, daß das wahre Leben nur im Dienste der Schönheit und Liebe stehe.
    »Roubaud gerade hat von dieser Depesche gesprochen,« bemerkte Herr von Lachesnaye trocken. »Wenn der Präsident keine Depesche empfangen hat, konnte er Jenem auch nicht erzählen, daß er eine solche erhalten hätte. Warum also hat Roubaud gelogen?«
    »Der Präsident kann sehr wohl,« ereiferte sich jetzt auch Herr Denizet, »das Eintreffen der Depesche vorgeschützt haben, um den Roubaud seine plötzliche Abreise erklärlich zu machen. Nach ihrer eigenen Aussage wollte er erst am folgenden Tage fahren. Da sie ihn aber unerwartet in demselben Zuge antrafen, mußte er schon eine Ausrede erfinden, um ihnen nicht den wahren Grund seiner Reise mitzutheilen, den wir Alle übrigens nicht kennen … Dieser Umstand ist völlig bedeutungslos und führt zu nichts.«
    Abermaliges Schweigen. Als der Richter fortfuhr, ging er völlig beruhigt und vorsichtig zu Werke.
    »Ich muß jetzt einen delikaten Gegenstand berühren, meine Gnädigste, ich bitte also schon im Voraus um Entschuldigung wegen der Natur meiner Fragen. Niemand respektirt mehr als ich das Andenken Ihres Herrn Bruders … Man sagte ihm nach, daß er viele Liebschaften unterhalten habe. Ist dem so?«
    Frau Bonnehon lächelte abermals, ihre Duldsamkeit schien unerschöpflich.
    »In seinem Alter, mein werther Herr! … Mein Bruder war schon frühzeitig Wittwer, ich habe mir nie das Recht angemaßt zu tadeln, was er für gut fand. Er hat nach seinen Neigungen gelebt und ich habe mich in nichts

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