Die Bestie im Menschen
geschlossen.«
Bei diesen Worten empörte sich das verletzte Schamgefühl der Lachesnaye.
»Aber Tante!«
Diese aber zuckte die Schultern: »Warum vor Gericht lügen?«
»Er hat sie umarmt, vielleicht auch gehätschelt. Das ist weiter kein Verbrechen … Ich will diese Dinge zugeben, denn der Kärrner hat sie nicht erfunden. Louisette muß die Lügnerin und Lästerin gewesen sein, sie hat alles in’s Ungeheuerliche gezogen, um bei ihrem Geliebten bleiben zu können, der als brutaler Mensch schließlich auf Treue und Glauben sich eingebildet hat, man habe ihm sein Verhältniß getödtet … Er war thatsächlich fast toll vor Wuth und hat in allen Kneipen wiederholt, daß er den Präsidenten wie ein Schwein abstechen würde, wenn er ihm einmal in die Hände fallen sollte.«
Der bis dahin schweigsame Richter unterbrach sie lebhaft:
»Das hat er wirklich gesagt, sind Zeugen da, die es bestätigen können?«
»Sie werden mehr, als nothwendig ist, finden, lieber Richter … Es ist eine traurige Geschichte gewesen, der Verdruß wollte garnicht aufhören. Glücklicher Weise machte die Stellung, die mein Bruder einnahm, ihn über jeden Verdacht erhaben.«
Frau Bonnehon begriff jetzt, welche Spur Herr Denizet verfolgte. Es machte sie das besorgt, sie brach also lieber ab, um nicht noch mehr in die Sache verwickelt zu werden! Der Richter hatte sich erhoben, er wollte die schmerzliche Gefälligkeit der Familie nicht noch länger in Anspruch nehmen, meinte er. Der Schreiber las auf seine Anordnung hin die Protokolle vor, damit sie von den Anwesenden unterzeichnet werden konnten. Die Wiedergabe des Verhörs war eine tadellos correcte, alle überflüssigen und kompromittirenden Worte waren fortgelassen, so daß Frau Bonnehon mit der Feder in der Hand es nicht unterlassen konnte, einen wohlwollenden Blick angenehmer Ueberraschung auf diesen knochigen, bleichen Herrn Laurent zu werfen, den sie vorher garnicht beachtet hatte.
Als der Richter sie, wie auch ihre Nichte und deren Mann, zur Thür begleitete, drückte sie ihm die Hand.
»Auf baldiges Wiedersehen, nicht wahr? Sie wissen, daß Sie stets willkommen in Doinville sind … Sind Sie doch einer meiner letzten Getreuen.«
Ein melancholischer Hauch umflorte ihr Lächeln, während ihre Nichte mit eisiger Miene und mit oberflächlichem Gruße zuerst das Zimmer verließ.
Als sich Herr Denizet allein befand, athmete er etwas auf. Er war nachdenklich stehen geblieben. Für ihn war die ganze Angelegenheit jetzt klar, zweifellos hatte Grandmorin, der dafür bekannt war, Gewalt angewendet. Dieser Umstand machte die Untersuchung kitzlich, er nahm sich deshalb vor, sehr vorsichtig zu sein, bis nähere Anweisungen aus dem Ministerium eingetroffen sein würden. Nichtsdestoweniger triumphirte er. Endlich hatte er den Schuldigen erfaßt.
Als er seinen Platz hinter dem Schreibtische wieder eingenommen hatte, klingelte er dem Diener.
»Lassen Sie den Jacques Lantier eintreten.«
Auf der Bank im Korridor warteten die Roubaud mit ihren zugeknöpften, von der Ungeduld, die sie zeigen mußten, wie eingeschläferten und nur ab und zu von einem nervösen Zucken überhuschten Gesichtern noch immer. Die Stimme des Gerichtsdieners, der Jacques hereinrief, schien sie zu erwecken, ein flüchtiges Erzittern überlief sie. Sie folgten ihm mit ihren sich erweiternden Augen und sahen ihn bei dem Richter verschwinden. Dann versanken sie wieder in ihre schweigsame Haltung.
Diese ganze Geschichte machte Jacques schon seit drei Wochen krank, als müßte sie schließlich sich gegen ihn wenden. Das war zwar unvernünftig, denn ihm konnte nichts zur Last gelegt werden, nicht einmal, daß er Schweigen bewahrte; trotzdem betrat er das Zimmer des Untersuchungsrichters mit dem unbehaglichen Gefühl, als sei er der Schuldige und sähe sein Verbrechen entdeckt. Deshalb schützte er sich gegen die ihm vorgelegten Fragen und hütete sich, zu viel zu sagen. Las man es ihm nicht an den Augen ab, daß auch er zu morden fähig war? Nichts war ihm unangenehmer als gerichtliche Vorladungen. Er fühlte so etwas wie zornige Empörung darüber und erklärte stets, seine Zeit sei viel zu kostbar, als mit solchen ihn nichts angehenden Geschichten vertrödelt zu werden.
Herr Denizet verlangte diesmal von ihm nur ein Signalement des Mörders. Jacques war der einzige Zeuge, der Jenen erblickt und genauere Aussagen in dieser Beziehung machen konnte. Aber auch diesmal ging er über seine erste Aussage nicht hinaus, er
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