Die Bestie im Menschen
hineingemischt. Ich weiß nur, daß er seinem Stande nichts vergeben hat und bis zu seinem Lebensende ein Mann der besten Gesellschaft geblieben ist.«
Berthe, empört, daß man vor ihr von den Liebschaften ihres Vaters sprach, hatte die Augen gesenkt, während ihr Gatte, ebenso genirt wie sie an das Fenster getreten war und den Anwesenden den Rücken kehrte.
»Verzeihen Sie, wenn ich diesen Gegenstand noch nicht fallen lasse,« beharrte Herr Denizet. »Ist im Schloß nicht etwas mit einem jungen Hausmädchen passirt?«
»Ach, Sie meinen Louisette? .. Ja, lieber Herr, dieses Kind steckte voller Laster. Schon zu vierzehn Jahren hatte sie ein Verhältniß mit einem schon vorbestraften Burschen. Man hat ihren Tod gegen meinen Bruder auszubeuten versucht. Das ist eine Gemeinheit; ich will Ihnen die Geschichte erklären.«
Sie sprach zweifellos im guten Glauben. Obwohl sie wußte, woran sie mit der Sittenlosigkeit ihres Bruders war, und obgleich sein tragischer Tod sie nicht im Geringsten überrascht hatte, fühlte sie doch die Notwendigkeit einer Vertheidigung der hohen Stellung ihrer Familie. Was nun diese unglückselige Geschichte mit Louisette betraf, so war auch sie überzeugt, daß der Präsident jener nachgestellt habe, ebenso aber davon, daß jene bereits vorher Verkehr mit Männern gehabt.
»Stellen Sie sich ein junges Mädchen vor, klein, zierlich, blond und rosig wie ein Engelchen und dazu so sanft, so göttlich mild, daß man ihr den ganzen Himmel auch ohne Beichte vom Gesicht las … Schön! dieser Engel war schon im Alter von vierzehn Jahren die Busenfreundin eines brutalen Menschen, eines Karrenführers, Namens Cabuche, der wegen Todtschlags erst kurz vorher fünf Jahre Gefängniß verbüßt hatte. Dieser Mensch hauste wie ein Wilder im Walde von Bécourt, wo ihm sein vor Kummer gestorbener Vater eine aus Baumstämmen und Erde geformte elende Hütte hinterlassen hatte. Dort beutete er die verlassenen Steinbrüche aus, die in früheren Zeiten gewiß die Hälfte der Steine, aus denen Rouen erbaut ist, hergegeben haben. Hier im Dunkel dieser Löcher suchte die Kleine ihren Wärwolf auf, den das ganze Land fürchtet und wie einen Verpesteten flieht, so daß er einsam und abgeschlossen von der Welt leben muß. Oft begegnete man Beiden, wenn sie Hand in Hand durch die Wälder streiften, sie so winzig, er dagegen wie ein Riese und wildes Thier zugleich. Ein unglaubliches Verhältniß! Ich habe natürlich diese Dinge erst später erfahren. Ich hatte Louisette fast nur aus Mitleid zu mir genommen, um ein gutes Werk zu thun. Ihre Eltern, die Misard, die mir als arme Leute bekannt waren, hatten sich natürlich schön gehütet, mir zu sagen, daß sie das Kind trotz aller Schläge nicht haben abhalten können, zu Cabuche zu laufen, sobald eine Thür im Hause offen stand … Und dann passirte das Unglück. Mein Bruder hatte in Doinville keinen Diener um sich. Louisette und eine zweite Frau besorgten die Aufwartung in dem kleinen Pavillon, den er sich reservirt hatte. Eines schönen Morgens hatte sie sich allein dorthin begeben und kam nicht wieder. Nach meiner Meinung war ihre Flucht schon seit langer Zeit geplant worden, vielleicht hatte ihr Liebster sie erwartet und entführt … Aber das Schreckliche war, daß fünf Tage später das Gerücht von dem Tode Louisette’s in Folge eines von meinem Bruder versuchten Unsittlichkeitsattentates umherlief. Die näheren Umstände sollten so ungeheuerliche gewesen sein, daß die Kleine halb wahnsinnig zu Cabuche gekommen, wie man erzählte, und bei ihm an einer Gehirnentzündung gestorben wäre. Was eigentlich vorgegangen, ist schwer zu enträthseln. Man horte zu widersprechende Gerüchte. Ich für meinen Theil glaube, daß Louisette an einem Fieber gestorben ist, das sie sich, so lautet auch die ärztliche Meinung, durch ihr nächtliches Umherstreifen in der Nähe der Sümpfe geholt hat … Ich hoffe. Sie sehen ein, mein weither Herr, daß nicht mein Bruder die Kleine gemordet hat. Das wäre zu häßlich, ja unmöglich.«
Herr Denizet hatte dieser Erzählung aufmerksam gelauscht und weder Billigung noch Mißbilligung geäußert. Frau Bonnehon fühlte sich schließlich etwas verlegen und entschloß sich daher noch zu der Aeußerung:
»Mein Gott, ich will nicht behaupten, daß mein Bruder nicht mit ihr gescherzt hätte. Er liebte die Jugend, trotz seiner strengen Amtsmiene war er stets ein Lebenslustiger. Nehmen wir sogar an, er hätte sie öfter in seine Arme
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