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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Signalement, daß der Mörder groß und stark gewesen sei, keinen Bart, aber eine Blouse getragen habe, kurz ganz das Gegentheil von Roubaud’s eigener äußerer Erscheinung. Vom Zweiten bekam er nur Ausflüchte heraus, welche die Behauptungen Roubaud’s erst recht bekräftigten. Der Richter kam zu seiner ersten Ueberzeugung zurück; er befand sich entschieden an der richtigen Fährte, das Porträt, welches der Zeuge von dem Mörder entwarf, war so exact, daß jeder neue Zug die Gewißheit verstärken mußte. Gerade dieses, so ungerechtfertigt verdächtige Ehepaar machte durch seine erdrückende Aussage den Kopf des Schuldigen fallen.
    »Gehen Sie dort hinein,« sagte er zu den Roubaud und Jacques und ließ sie das nebenan gelegene Zimmer betreten, nachdem sie das Protokoll unterschrieben hatten. »Warten Sie, bis ich Sie rufe.«
    Er gab unverzüglich den Befehl, den Gefangenen vorzuführen. Er war so glücklich, daß er sich gut gelaunt an seinen Schreiber mit den Worten wandte:
    »Laurent, wir haben ihn.«
    Die Thür sprang auf und zwei Gensdarmen schoben einen großen Burschen im Alter von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren in das Zimmer. Auf ein Zeichen des Richters zogen sie sich zurück und Cabuche blieb allein und eingeschüchtert, mit der verstörten Miene eines eingefangenen wilden Thieres mitten im Zimmer stehen. Er war ein blonder Kerl mit kraftstrotzendem Halse, mächtigen Fäusten einer überraschend weißen Haut und spärlichem Bart, ein goldener, wie Seide so weicher Flaum beschattete kaum seine Lippen. Das massige Gesicht, die niedre Stirn drückten die Heftigkeit eines bornirten Wesens aus, das nur nach der ersten Empfindung zu handeln pflegt; zugleich aber drückte sich in dem breiten Munde und der eckigen Nase die Bereitwilligkeit gutmüthiger, hündischer Unterwürfigkeit aus. Am frühen Morgen aus seinem Loch in der Forst geholt und mit ihm unverständlichen Anklagen überhäuft, glich er in seiner Bestürzung, mit der zerrissenen Blouse und seinem zweideutigen Blick ganz einem tückischen Banditen. Das Gefängniß giebt ja auch ehrenwerthen Leuten solch ein Aussehen. Die Dämmerung brach herein, das Gemach hüllte sich in Dunkelheit. Der Diener brachte eine große Lampe herein, deren blendendes Licht ihm direct in’s Gesicht fiel. Er starrte unbeweglich in die Flamme, als wäre er schon überführt.
    Herr Denizet hatte sofort seine großen, klaren Augen mit den schweren Lidern auf ihn geheftet. Er sagte noch nichts, der erste Versuch, seine Macht auszuüben, war eine stumme Nöthigung, dann erst sollte der wilde Kampf, dieser Krieg voller Listen, Fallen und moralischer Folterungen beginnen. Dieser Mann war der Schuldige, er war vogelfrei und brauchte nur das Geständniß seiner Schuld abzulegen.
    Das Verhör begann sehr gelassen.
    »Ihr wißt, wessen man Euch beschuldigt?«
    »Man hat es mir nicht gesagt, aber ich glaube, es zu wissen,« antwortete Cabuche und seine Stimme grollte dumpf vor ohnmächtigem Zorn. »Man hat genug darüber geredet.«
    »Sie kannten Herrn Grandmorin?«
    »Ja, ich kannte ihn nur zu gut!«
    »Ein Mädchen, Namens Louisette, Euer Verhältniß, war Hausmädchen bei Frau Bonnehon?«
    Den Kärrner packte die Wuth. In seinem Zorn schwamm ihm alles roth vor den Augen.
    »In des Teufels Namen, die das sagen, sind infame Lügner. Louisette war nicht mein Verhältniß.«
    Der Richter hatte neugierig diesem Aufruhr zugesehen. Er machte eine kleine Abschwenkung und sagte:
    »Ihr seid etwas heftig. Ihr hattet schon einmal fünf Jahre abzumachen, weil Ihr im Streite einen Mann getödtet habt.«
    Cabuche senkte den Kopf. Diese Verurtheilung war seine Schande.
    »Er hatte zuerst geschlagen,« murmelte er … »Ich habe nur vier Jahre gesessen, man hat mir das fünfte erlassen.«
    »Ihr behauptet also, daß die Louisette nicht Euer Verhältniß war?«
    Er ballte abermals die Fäuste. Dann sagte er mit gedämpfter Stimme und in abgebrochenen Sätzen:
    »So begreifen Sie doch, sie war ja noch ein halbes Kind, erst vierzehn Jahre, als ich von dort zurückkehrte … Damals floh mich alle Welt, man hatte mich gesteinigt. Nur sie, der ich im Walde täglich begegnete, näherte sich mir und sprach so lieb, so lieb mit mir … So wurden wir Freunde. Gingen wir zusammen im Walde umher, war es immer Hand in Hand. Jene Zeit war so schön, so schön! Sie wurde größer und ich dachte wohl an sie. Wozu soll ich es leugnen, daß ich sie wie toll liebte. Auch sie liebte mich sehr und es wäre

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