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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Rolle spielten. Zunächst aber überwog die Freude und spülte ihre Gewissensbisse fort. Sie lächelten Jacques an und spürten erleichterten Herzens ein heftiges Verlangen nach Aufathmen in der freien Luft. Der Richter wollte sie gerade entlassen, als ein Gerichtsdiener ihm einen Brief behändigte.
    Lebhaft trat Herr Denizet an seinen Schreibtisch, um mit Aufmerksamkeit zu lesen und vergaß ganz die drei Zeugen. Es war ein Brief aus dem Ministerium, der Bescheid, daß er sich noch etwas hätte gedulden sollen, ehe er die Untersuchung von Neuem weitergeführt. Was er las, dämpfte seinen Triumph, denn sein Gesicht überzog nach und nach eine eisige Kälte und die an ihm sonst sichtbare stumpfe Unbeweglichkeit. Er erhob auch einmal den Kopf und blickte die Roubaud von der Seite an, als hätte eine Stelle im Briefe ihn wieder an sie erinnert. Auch deren Freude war schnell verflogen, sie fühlten sich wieder höchst unbehaglich und schuldbeladen. Warum hatte er sie angesehen? Hatte man in Paris dieses ungeschickte Billet mit drei Zeilen aufgefunden, das sie fürchten mußten? Séverine kannte Herrn Camy-Lamotte sehr gut, sie hatte ihn oft beim Präsidenten gesehen und wußte, daß er mit Ordnung der Papiere des Todten beauftragt war. Jetzt quälte Roubaud das Bedauern, seine Frau nicht nach Paris geschickt zu haben. Sie hätte mehrere, gewiß nützliche Besuche machen und sich der Protection des Generalsekretärs versichern können, falls die Gesellschaft, durch die umlaufenden bösen Gerüchte beunruhigt, noch an seine Absetzung denken sollte. Beide wandten kein Auge von dem Richter; ihre Unruhe wuchs, je mehr sie sein Gesicht sich verfinstern sahen. Er war jedenfalls sehr deprimirt von diesem Brief, der die Arbeit eines ganzen Tages wieder zunichte machte.
    Endlich ließ Herr Denizet die Hand mit dem Brief sinken, er ließ noch einen Augenblick in Gedanken verloren seine Augen auf den Roubaud und Jacques haften. Dann aber raffte er sich auf und sagte laut:
    »Es ist gut; wir werden ja sehen und Alles nochmals durchgehen … Sie können jetzt gehen.«
    Doch als die Drei fort wollten, konnte er dem Verlangen nicht widerstehen, den bedeutsamen Punkt aufzuklären, der sein neues System durchquerte, obwohl man ihm anempfahl, nichts ohne vorhergegangene Anfrage zu thun.
    »Nein, bleiben Sie noch einen Augenblick, Herr Lantier, ich habe Sie noch etwas zu fragen.«
    Die Roubaud warteten im Korridor. Die Thüren standen offen, aber sie konnten noch nicht hinaus: ein Etwas hemmte ihren Schritt, die Angst vor dem, was sich in diesem Augenblick im Zimmer des Untersuchungsrichters abspielen mochte, die physische Unmöglichkeit, eher fortzugehen, bis sie von Jacques erfahren, was für eine Frage ihm vorgelegt worden sei. Sie gingen mit schlotternden Beinen auf und ab. Dann setzten sie sich wieder auf die Bank, wo sie schon vorher mehrere Stunden stumm vor sich hin gebrütet hatten.
    Als der Lokomotivführer wieder erschien, erhob sich Roubaud schwerfällig.
    »Wir haben Sie erwartet, um mit Ihnen nach dem Bahnhof zurückzukehren … Nun?«
    Jacques aber wendete verlegen den Kopf zur Seite, als wollte er dem auf ihn gerichteten Blick Séverine’s ausweichen.
    »Er weiß nicht mehr wie vorher, er plantscht umher,« sagte er endlich. »Jetzt hat er mich gefragt, ob nicht zwei den Mord begangen haben. Ich habe ihm dasselbe erwidert, was ich in Havre ausgesagt, nämlich, daß eine dunkle Masse auf den Beinen des Alten gelastet habe. Nun wollte er auch darüber noch Näheres wissen … Er schien der Meinung, daß das keine Reisedecke war. Dann ließ er die Decke holen und ich mußte nochmals meine Meinung sagen … Mein Gott, ja, es war vielleicht die Reisedecke.«
    Die Roubaud überlief es kalt. Man war ihnen auf der Spur, ein einziges Wort dieses jungen Menschen konnte sie in’s Verderben stürzen. Er wußte sicher Alles und würde schließlich aussagen. Schweigend verließen die Drei, die Frau in der Mitte, das Gerichtsgebäude. Als sie sich auf der Straße befanden, meinte Roubaud plötzlich:
    »Da fällt mir gerade ein, Kamerad, meine Frau wird einiger Geschäfte halber einen Tag in Paris zubringen müssen. Sie sind vielleicht so gut und stehen ihr mit Rath zur Seite, falls sie Hilfe braucht?«
     

Fünftes Kapitel
    Punkt elf Uhr signalisirte der Wärter am Pont de l’Europe durch das vorgeschriebene zweimalige Tuten die Ankunft des Eilzuges von Havre, der soeben aus dem Tunnel von Les Batignolles auftauchte. Bald darauf

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