Die Bestie im Menschen
Jahre älter gewesen als er selbst, nur fertig bekommen, bis zu seinem Tode solche Geschöpfe zu erobern, in einem Alter, in welchem er eigentlich auf solch ein Spielzeug schon hätte Verzicht leisten müssen, wollte er nicht das letzte Mark sich aus den Knochen saugen lassen. Sie war in der That charmant. Das Lächeln des jetzt übrigens uninteressirten Liebhabers von solchen Dingen drang durch die vornehme Kälte seiner Beamtenmiene. Man merkte sein Bedauern, eine so ärgerliche Sache auf dem Halse zu haben.
Jetzt aber machte Séverine einen Fehler. Sie fühlte, daß sie Oberwasser hatte und im Gefühl ihres Sieges sagte sie:
»Leute wie wir morden nicht des Geldes wegen. Uns hätte ein andrer Beweggrund leiten müssen, und ein solcher war eben nicht vorhanden.«
Er sah sie an und sah wie ihre Mundmuskeln zuckten. Also sie war es doch gewesen, seine Gewißheit war von jetzt ab nicht mehr zu erschüttern. Und auch sie erkannte, daß sie sich ihm ausgeliefert habe an dem nervösen Zucken in ihrem Kinn, an dem Verschwinden seines Lächelns. Fast wurde sie ohnmächtig, sie fühlte, wie ihr ganzes Wesen dahinschwand. Trotzdem blieb sie aufrecht auf dem Stuhle sitzen, sie hörte ihn in demselben Tone wie vorher das sagen, was er zu sagenhatte. Die Unterhaltung nahm ihren Fortgang, aber Beide konnten aus ihr nichts weiter lernen als sie schon wußten. Mit gleichgültigen Worten sagten sie sich nur noch Dinge, die sie sich eigentlich garnicht erzählen wollten. Er hatte den Brief und sie hatte ihn geschrieben. Das las man selbst aus ihrem Schweigen heraus.
»Frau Roubaud,« sagte er endlich, »ich will mich bei der Gesellschaft für Sie verwenden, wenn Sie in der That der Theilnahme werth sind. Ich erwarte gerade heute Abend den Betriebsdirector in einer anderen Angelegenheit … Ich bedarf aber einiger Notizen. Bitte, schreiben Sie mir doch Ihren Namen, die dienstliche Stellung Ihres Mannes und sonst noch auf, was mir sofort die ganze Angelegenheit in die Erinnerung rufen kann.«
Er rückte ein kleines Tischchen an sie heran und wandte seine Blicke ab, um sie nicht zu sehr in Furcht zu setzen. Sie hatte gebebt: er wollte ihre Handschrift haben, um sie mit der des Billets zu vergleichen. Sie suchte zunächst vergeblich nach einer Ausflucht, sie war entschlossen nicht zu schreiben. Dann aber überlegte sie: schlimmer konnte es nicht werden, wenn sie schrieb, da er doch bereits alles wußte; ihre Handschrift würde irgendwo doch zu finden sein. Ohne offenbare Verwirrung, mit der natürlichsten Miene von der Welt schrieb sie nieder, was er verlangte, er dagegen stellte sich hinter sie und erkannte sofort die Handschrift des Billets wieder, deren Buchstaben hier nur etwas höher und fester aussahen. Er fand, daß diese kleine, schwächliche Frau sehr tapfer sei. Er lächelte abermals hinter ihrem Rücken, so daß sie es nicht sehen konnte, mit der Miene eines Mannes, der ein Vergnügen an ihren Reizen, ihrer vor ihm gespielten Sorglosigkeit empfand. Im Uebrigen macht nichts so müde als gerecht zu sein. Er wachte lediglich über das Decorum des Regimes, dem er diente:
»Geben Sie mir das, Frau Roubaud, ich werde mich erkundigen und mich, so gut es geht, für Sie verwenden.«
»Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, mein Herr … Jetzt, nun Sie das Verbleiben meines Mannes im Amte durchsetzen wollen, kann ich meine Angelegenheit wohl als erledigt betrachten?«»O bitte, nein, ich verpflichte mich zu nichts … Ich muß sehen, muß überlegen.«
Er zögerte wirklich, er wußte noch nicht, wie er jetzt, nun er das Ehepaar schuldig wußte, verfahren sollte. Das warf ihre Angst, seit sie sich von seiner Gnade abhängig wußte: sein Zögern, der Zweifel, ob sie durch ihn gerettet oder von ihm in’s Verderben gestürzt werden würde, ohne die Gründe durchschauen zu können, die schließlich den Ausschlag geben mußten, mußte beseitigt werden.
»O berücksichtigen Sie unsren Verdruß. Lassen Sie mich nicht ohne einen endgiltigen Bescheid gehen.«
»Mein Gott, Frau Roubaud, ich vermag im Augenblick nichts. Warten Sie ab.«
Er drängte sie zur Thür. Sie ging, Verzweiflung im Herzen und war nahe daran, alles zu bekennen, unter dem unabweisbaren Zwange, ihn rund heraus reden zu machen, was er mit ihnen zu thun beabsichtige. Um nur noch eine Minute Zeit zu gewinnen und in der Hoffnung, es würde ihr noch etwas einfallen, fragte sie:
»Ich vergaß, ich wollte Sie noch betreffs des unglückseligen Testaments etwas fragen … Sind
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