Die Bestie im Menschen
lagen aber nun einmal so, man mußte sich darin finden. Umsomehr mußte er alles aufbieten, um die geistige Regsamkeit wieder zu erlangen, die er damals besaß, als er, wie er selbst eingestand, den Mord für nothwendig für sein ferneres Leben erklärte. Hätte er damals den Mann nicht getödtet, er hätte selbst nicht weiter zu leben vermocht. Heute, nun die Flamme seiner Eifersucht erloschen war, empfand er nur noch das unerträgliche, von der Erinnerung herrührende Brennen, als hätte sich sein Herzblut verdickt durch das vergossene. Deshalb war ihm die Nothwendigkeit dieses Mordes heute nicht mehr so einleuchtend wie damals. Er fragte sich sogar öfters, ob der Todtschlag wirklich der Mühe lohne. Es war das nicht der Ausdruck einer Reue, auch nicht der einer Enttäuschung, sondern lediglich des Gedankens, daß man oft unglaubliche Dinge thut, um glücklich zu sein und es doch nicht wird. Er, der sonst so geschwätzig war, gefiel sich oft in langanhaltendem Schweigen und wirren Betrachtungen, aus denen er um so verdüsterter erwachte. Um das Alleinsein mit seiner Frau zu vermeiden, stieg er jetzt täglich nach den Mahlzeiten auf das Dach, um sich auf dem Giebel desselben niederzulassen. Dort in dem freien Luftzuge, von wirren Träumereien gewiegt, sah er über die Stadt fort die Packetboote sich am fernen Horizonte nach fremden Meeren verlieren.
Eines Abends hatte Roubaud einen Rückfall in seine einstige wilde Eifersucht. Als er eines Abends Jacques vom Depot abgeholt hatte, um ihn mit zu sich zu nehmen, sah er Henri Dauvergne, den Zugführer, die Treppe herabkommen. Dieser schien etwas betroffen und redete sich damit aus, er hätte soeben Frau Roubaud im Auftrage seiner Schwestern besucht. In Wahrheit aber stellte er Séverine seit einiger Zeit in der Hoffnung nach, sie erobern zu können.
Kaum in die Thür getreten, fuhr der Unter-Inspector seine Frau heftig an.»Was wollte der hier? Du weißt, daß der Mensch mir zuwider ist.«
»Aber, mein Freund, er kam wegen eines Stickmusters.«
»Ich pfeife auf Eure Stickereien! Hältst Du mich für so dumm, daß ich nicht weiß, warum er kommt? Nur Deinetwegen kommt er … Nimm Dich in Acht!«
Er ging mit geballten Fäusten auf sie los. Sie wich, weiß wie die Wand, zurück. In der friedlichen Gleichgiltigkeit, in der sie miteinander verkehrten, erschien ihr der Ausbruch einer solchen Wuth doppelt merkwürdig. Roubaud beruhigte sich aber sofort und wandte sich an seinen Genossen.
»Das sind solche Kerle, die da glauben, daß ihnen die Frau sofort um den Hals fallen und der sehr ehrenwerthe Gatte nichts sehen wird! So etwas läßt mein Blut kochen … Passirte mir das, ich würde meine Frau auf der Stelle erwürgen. Der kleine Herr soll sich hüten, nochmals wiederzukommen oder ich rechne mit ihm ab … Ist das nicht eklig?«
Jacques genirte dieser Auftritt sehr, er wußte nicht, woran er sich zu halten hatte. Galt ihm dieser Wuthanfall? Wollte der Gatte ihm einen Fingerzeig geben? Er gewann erst seine Ruhe wieder, als er den Mann heiter sagen hörte:
»Was bin ich für ein großes Pferd! Ich weiß ja, daß Du die Erste bist, die ihn zur Thür herausbefördert … Geh, gieb uns etwas zu trinken und stoße mit uns an.«
Er klopfte Jacques auf die Schulter und Séverine lächelte, ebenfalls schnell wieder gefaßt, die beiden Männer an. Dann tranken sie gemeinsam und verbrachten noch eine angenehme Stunde mitsammen.
Roubaud näherte auf diese Weise mit der Miene bester Freundschaft Séverine und Jacques, ohne, wie es schien, an die möglichen Folgen zu denken. Diese Eifersuchtsfrage gerade wurde ein Grund engerer Freundschaft, heimlicher, mit Vertraulichkeiten genährter Zärtlichkeit zwischen Jacques und Séverine. Als dieser sie am zweitnächsten Tage wiedersah, beklagte er sie, daß sie so brutal behandelt werde, sie dagegen beichtete mit feuchten Augen in einem unfreiwilligen Ueberfließen ihrer Klagen, wie wenig Glück sie in ihrer Ehe gefunden hätte. Von diesem Augenblick an hatten sie einen besonderen Gegenstand der Unterhaltung, eine freundschaftliche Mitschuld, wobei sie sich durch Zeichen verständlich machten. Beijedem Besuch fragte er sie durch einen Blick, ob sie einen erneuten Grund zur Trauer hätte. Sie antwortete in derselben Weise durch bloßes Bewegen der Augenlider. Dann suchten sich ihre Hände hinter dem Rücken des Mannes, als sie kühner wurden, ein langer Druck derselben wurde ihnen verständlich und die Spitzen ihrer warmen Finger
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