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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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erzählten von dem wachsenden Interesse, das sie an den geringsten Ereignissen in ihrem Leben nahmen. Nur selten hatten sie das Glück, eine Minute ohne Roubaud zu sein. Immer saß er zwischen ihnen in diesem melancholischen Eßzimmer, aber sie thaten nichts, um ihm zu entschlüpfen, es kam ihnen nicht einmal der Gedanke, sich in irgend einem verborgenen Winkel des Bahnhofes ein Stelldichein zu geben. Bisher war nur eine wirkliche Zuneigung, ein Hinneigen aus herzlicher Sympathie vorhanden gewesen, was kaum genirte, da ein Blick, ein Händedruck ihnen genügten, um die Sprache ihrer Herzen verständlich zu machen.
    Als Jacques zum ersten Male Séverine in das Ohr flüsterte, daß er sie am kommenden Donnerstag um Mitternacht hinter dem Depot erwarten würde, war sie außer sich und entzog ihm heftig ihre Hand. Es geschah das in der Woche ihrer Freiheit, in welcher ihr Mann Nachtdienst hatte. Der Gedanke, ihre Wohnung verlassen und diesen Mann in der Dunkelheit der Bahnhofsanlagen aufsuchen zu sollen, verwirrte sie vollständig. Noch nie hatte sie so unklar empfunden, es war die Furcht unwissender Jungfrauen, die ihr Herz schlagen machte. Und sie gab auch nicht nach, vierzehn Tage hindurch mußte er betteln trotz ihres eigenen glühenden Verlangens nach dieser nächtlichen Promenade, bis sie einwilligte. Es war Anfang Juni, die Abende waren schwül, kaum daß sie die frische Meeresbrise abkühlte. Auch an diesem Abend hatte sie sich geweigert, aber die Nacht war mondlos, der Himmel bedeckt und kein Stern leuchtete durch den gluthhauchenden Nebel, welcher den Himmel verbarg. Er stand wartend im Schatten und da sah er sie endlich, in Schwarz gekleidet, mit kaum hörbaren Tritten kommen. Es war so dunkel, daß sie ruhig an ihm vorübergegangen wäre, wenn er sie nicht in seinen Armen aufgefangen und sie geküßt hätte. Ein leiser Aufschrei entschlüpfte ihr, sie zitterte, dann aber ließ sie lächelnd ihre Lippen auf den seinen ruhen. Das waraber auch Alles, sie ließ sich nicht herbei, sich mit ihm in einem der sie umgebenden Schuppen niederzulassen. Dicht aneinander gedrängt gingen sie leise flüsternd auf und ab. Es breitet sich dort ein von dem Depot und seinen Dependenzen eingenommenes weites Terrain aus, von der Rue Verte und der Rue François-Mazeline begrenzt, die beide in gleichem Niveau über die Geleise führen. Dieses mächtige, fast endlose Terrain wird von Güterwagen, Reservoirs, Wasserpumpen, Baulichkeiten aller Art, von den beiden großen Lokomotivschuppen, dem von einem handbreiten Küchengarten umgebenen Häuschen der Sauvagnat, von baufälligen Hütten, in denen die Reparaturwerkstätten sich befanden, der Wachtstube, in der die Lokomotivführer und Heizer schliefen, occupirt. Nichts war leichter, als hier sich zu verstecken. Im Innern eines Waldes, zwischen verlassenen Gäßchen, in unauffindbaren Labyrinthen hätte man sich nicht besser verbergen können. Eine volle Stunde hindurch kosteten sie diese entzückende Einsamkeit, das Vergnügen, mit den so lange zurückgehaltenen Freundesworten ihre Herzen zu erleichtern. Sie wollte nur von einer freundschaftlichen Zuneigung etwas wissen, sie hatte ihm sofort erklärt, daß sie ihm nie angehören würde, denn es wäre zu gemein, diese reine Freundschaft, auf die sie so stolz wäre, zu beflecken. Sie fühlte das Bedürfniß, vor sich selbst Achtung zu haben. Dann begleitete er sie bis an die Rue Verte, ihr Beider Mund fand sich zu einem innigen Kuß. Sie kehrte heim.
    Um dieselbe Zeit nickte in dem Bureau der Unter-Inspectoren in dem alten Ledersessel Roubaud ein wenig ein. An zwanzig Mal in einer Nacht erhob er sich wieder mit wie zerschlagenen Gliedern. Bis neun Uhr hatte er die Nachtzüge zu expediren und zu empfangen. Dann, wenn der Pariser Eilzug glücklich hinein und ausrangirt war, nahm er im Bureau sein Abendbrod ein in Gestalt von kaltem Fleisch, das ihm, zwischen zwei Butterbrode geklemmt, von oben heruntergeschickt worden war. Der letzte Zug, ein Bummelzug ab Rouen, fuhr um zwölf und ein halb Uhr in die Halle ein. Dann herrschte auf den öden Perrons tiefes Schweigen, man ließ nur die nothwendigsten Gaslaternen brennen und der ganze Bahnhof versank beim Wehen dieses Halbdunkels in Schlaf. Von dem ganzen Personal wachten nur zweiWagenmeister und vier oder fünf Arbeiter unter dem Befehle des Unter-Inspectors. Diese konnten wenigstens mit unter den Kopf geschobenen Fäusten auf den Dielen des Wachthauses ruhig schlafen, Roubaud dagegen, der

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