Die Bestie im Menschen
an Kopfschmerzen,« sagte der Letzter auf’s Geradewohl. »Mir thut das Spazierengehen in der Nachtluft sehr wohl.«
Doch der Heizer verwahrte sich:
»Sie sind ja Ihr freier Herr, was wollen Sie? … Ich sprach ja nur im Scherz so … Sollten Sie aber eines Tages Langeweile haben, so wenden Sie sich nur an mich; ich bin zu Allem zu gebrauchen.«
Ohne sich klarer auszudrücken, erlaubte er sich nach Jacques Hand zu langen und drückte diese kräftig, als Zeichen der Unterwerfung seiner ganzen Person. Darauf zerknüllte er das fette Papier, in welches das Fleisch eingewickelt gewesen war, und warf es unter den Tisch. Die geleerte Flasche steckte er wieder in die Umhängetasche. Alles das that er mit der Sorgfalt eines Dieners, der sein ganzes Leben hindurch Besen und Schwamm nicht aus der Hand legt. Und während der Regen weiterrauschte, auch nachdem das Gewitter sich verzogen hatte, meinte er:
»Ich drücke mich jetzt und überlasse Sie Ihrem Schicksal.«
»Wenn das so weitergeht,« erwiderte Jacques, »werfe ich mich auf das Feldbett.«
Neben dem Depot nämlich befand sich ein Saal mit Matratzen, die durch Leinwandüberzüge geschützt wurden. Auf diese warfen sich die Männer in ihren Arbeitsanzügen, wenn sie nur drei oder vier Stunden in Havre zu warten hatten. Als Jacques den Heizer in der Richtung nach dem Hause der Sauvagnat hatte verschwinden sehen, wagte auch er es, bis zur Wachtstube vorzudringen. Aber er legte sich nicht schlafen, sondern blieb auf der Schwelle der weit offen stehenden Thür; die in dem Raume herrschende, erdrückende Hitze schreckte ihn zurück. Drinnen lag ein Lokomotivführer auf dem Rücken und schnarchte mit weit geöffnetem Munde.
Einige weitere Minuten verstrichen. Es wurde Jacques schwer die Hoffnung aufgeben zu müssen. Während sich seine Wuth über diesen ungelegen kommenden Regen steigerte, wuchs in ihm der tolle Einfall, trotzdem zum Stelldichein zu gehen.Er hatte dann wenigstens die Freude, dagewesen zu sein; Séverine dort zu treffen, darauf rechnete er nicht mehr. Sein Inneres drängte ihn so gewaltig dorthin, daß er in der That in den strömenden Regen hinaustrat, durch die schwarze Allee der Kohlenhaufen eilte und zu ihrem Lieblingswinkel gelangte. Noch halb geblendet von den Regentropfen, die ihm über das Gesicht liefen, betrat er die Werkzeugremise, in die er schon einmal mit Séverine untergetreten war. Dort hoffte er, sich wenigstens nicht so einsam zu fühlen.
Als Jacques in die pechschwarze Finsterniß dieses Versteckes trat, umschlangen ihn zwei Arme und heiße Lippen preßten sich auf die seinen. Séverine war doch gekommen.
»Mein Gott, Sie hier?«
»Ja, ich sah das Gewitter kommen und bin hierhergeeilt, noch ehe der Sturm losbrach … Warum kommen Sie so spät?«
Sie athmete schwer, noch nie hatte er sie so willenlos an seinem Halse hängen gefühlt. Sie glitt zu Boden und saß nun auf den leeren Säcken auf diesem molligen Lager, das den ganzen Winkel der Remise ausfüllte. Er sank mit ihr, denn ihre Arme hatten sich nicht gelöst und kam so auf ihren Schoß zu sitzen. Sehen konnten sie sich nicht, aber ihr heißer Athem umgab sie wie mit einem Nebel, in welchem alles um sie her in nichts versank.
Unter der Gluth ihrer verlangenden Küsse drängte sich die vertrauliche Anrede unwillkürlich auf ihre Lippen, als hätte sich das Blut ihrer Herzen bereits ineinandergemischt.
»Du erwartetest mich …?«
»Ja, so sehnsüchtig erwartete ich Dich!«
Und wiederum, wie vom ersten Augenblick an war sie es, die fast stumm ihn an sich preßte und ihn zwang, sie ganz zu nehmen. Sie hatte das keineswegs vorausgesehen. Als er kam, hatte sie bereits garnicht mehr auf sein Kommen gerechnet; in der unverhofften Freude des Wiedersehens aber, in dem plötzlichen, untilgbaren Bedürfniß ihm zu gehören, ergab sie sich ihm ohne weiteres Nachdenken, ohne weitere Ueberlegung. Es kam, wie es kommen mußte. Der Regen rauschte mit verdoppelter Heftigkeit auf das Dach der Remise nieder und der letzte aus Paris kommende Zug fuhr donnerndund zischend in den Bahnhof, daß der Erdboden zu wanken schien.
Als sich Jacques erhob, lauschte er verwundert auf das Rauschen des Regens. Wo befand er sich eigentlich? Aber als er unter seiner Hand den Stiel eines Hammers wiederfühlte, den er schon vorher beim Niederlassen gespürt hatte, war seine Freude eine ungemessene. Es war also geschehen? Er hatte Séverine besessen, ohne die Lust zu verspüren, ihr mit diesem Hammer den
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