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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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in Havre übernachtenden Lokomotivführer und Heizer aufgestellt waren. Bei diesem Unwetter wäre man bis auf die Knochen durchnäßt worden, ehe man dorthin gekommen.
    Jacques mußte wohl oder übel Pecqueux folgen, der bereits die kleine Tasche seines Vorgesetzten an sich genommen hatte, wie es schien um ihm das Tragen derselben zu ersparen. Er wußte aber in Wahrheit, daß diese Tasche noch zwei Schnitte kaltes Kalbfleisch, Brod und eine kaum angebrochene Flasche enthielt. Daher sein Diensteifer. Der Regen fiel noch dichter, ein zweiter Donnerschlag machte den Schuppen abermals erzittern. Als die beiden Männer durch die nach der Cantine führende kleine Thür zur Linken fortgingen, erkaltete die Lison bereits. Verlassen versank sie in der durch grelle Blitze erhellten Finsterniß in Schlaf, während dicke Regentropfen ihre Glieder netzten. Neben ihr rieselte ein Bächlein aus einem schlecht verwahrten Wasserbehälter und bildete einen Sumpf, der zwischen ihre Räder hindurch in den Graben abfloß.
    Doch ehe Jacques in die Cantine ging, wollte er sich erst noch waschen. In einem nebenan gelegenen Raume war stets warmes Wasser in Kübeln vorräthig. Er zog ein Stück Seife aus seiner Tasche und seifte sich das von der Fahrt geschwärzte Gesicht und die Hände ab und da er stets so vorsichtig war, wie den Lokomotivführern auch anempfohlen wird, einen zweiten Anzug bei sich zu haben, so konnte er sich von Kopf bis zu Fuß neu equipiren, was er übrigens jedesmal nach der Ankunft in Havre der Stelldicheins halber aus Koketterie that. Pecqueux wartete in der Cantine bereits auf ihn; er hatte sich nur die Nasenspitze und die Fingerspitzen gewaschen.
    Die Cantine war ein kleiner Saal mit leeren gelb getünchten Wänden, in welchem nur ein Ofen zum Wärmen der Speisen und ein am Boden befestigter Tisch zu sehen war, den an Stelle eines Tischtuches eine Zinkplatte bedeckte. Zwei Bänke vervollständigten das Mobiliar. Die Leute mußten ihr Essen mitbringen und aßen mit Hilfe ihres Taschenmessers die Speisen vom Papier. Ein breites Fenster gab diesem Raume das Licht.
    »Ein verteufelter Regen,« meinte Jacques und trat an das Fenster.
    Pecqueux hatte sich auf die Bank vor dem Tisch gesetzt.
    »Wollen Sie nicht essen?«
    »Nein, mein Alter, eßt nur mein Fleisch und Brod getrost auf, wenn Ihr Lust habt … Ich habe keinen Hunger.«
    Der Andere ließ sich nicht weiter bitten, er machte sich über das Fleisch her und trank auch die Flasche leer. Er hatte oft Gelegenheit zu solchen Gelagen, denn sein Vorgesetzter war ein schlechter Esser; seine hündische Ergebenheit wurde durch solche Fetirungen nichts weniger als abgeschwächt. Mit vollem Munde meinte er nach einer Pause:
    »Was kümmert uns jetzt noch der Regen, nun wir geborgen sind? Allerdings, wenn das so weitergeht, muß ich Sie allein lassen und mich links in die Büsche schlagen.«
    Er lachte, denn er machte sich nicht besser als er war. Er hatte ihm sein Verhältniß zu Philomène Sauvagnat mitgetheilt, damit dieser sich nicht wunderte, ihn so oft außerhalb schlafen zu sehen. Philomène bewohnte bei ihrem Bruder ein Zimmer im Erdgeschoß neben der Küche; er brauchte nur an die Fensterladen zu klopfen, dann öffnete sie und er stieg ganz bequem durch das Fenster zu ihr. Man erzählte sich, daß alle Angestellten des Bahnhofes schon denselben Hammelsprung gemacht hätten. Doch jetzt hielt sie es nur mit dem Heizer, wie es schien genügte er ihr.
    »Donnerwetter,« fluchte Jacques, als der Regen nach einer kleinen Pause abermals sündfluthartig niederprasselte.
    Pecqueux, der gerade den letzten Bissen auf der Messerspitze balancirte, lachte abermals gutmüthig.
    »Was hatten Sie denn heute Abend vor? Gelt, uns Beiden kann man gewiß nicht vorwerfen, daß wir die Matratzen in der Rue François-Mazeline allzusehr abnutzen?«
    Jacques wandte sich ihm lebhaft zu.
    »Wie meint Ihr das?«
    »Nun seit diesem Frühjahr kommen wir Beide gewöhnlich erst um zwei oder drei Uhr Morgens heim.«
    Er mußte etwas wissen, vielleicht hatte er ein Stelldichein belauscht. In jedem Schlafraum des genannten Hauses standen die Betten paarweise, das des Heizers neben dem des Lokomotivführers. Man wollte das Leben der beiden Männer, die in so enger Nachbarschaft mit einander zu arbeiten haben,auch so fest als möglich zusammenschmieden. Es war also nicht besonders merkwürdig, daß der Heizer das jetzt gegen früher so regellose Leben seines Vorgesetzten bemerkt hatte.
    »Ich leide viel

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