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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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größeren Gewißheit, weil er sie stundenlangan seinem Halse hängen, ihren Mund auf dem seinen fühlte, ihre Seele trank, ohne daß ihn die wahnsinnige Lust packte, Herr über sie dadurch zu werden, daß er sie erwürgte. Und trotzdem wagte er den letzten Schritt nicht; es war so schön, zu warten und ihre Vereinigung ihrer Liebe selbst zu überlassen, wenn, Eines in dem Arm des Andern, die Minute gekommen sein würde in der Ohnmacht ihres Willens. So folgten sich diese glückseligen Stelldichein, die Beiden wurden nicht müde, sich zu finden, gemeinsam durch die Finsterniß zwischen den großen Kohlenlagern zu promeniren, welche die sie umgebende Nacht noch vermehrten.
    Eines Abends im Juli mußte Jacques, um in Havre zur vorgeschriebenen Zeit, also um elf Uhr fünf Minuten, eintreffen zu können, die Lison antreiben, welche die erdrückende Hitze faul gemacht zu haben schien. Von Rouen an zog sich ihm zur Linken über dem Seinethale ein Unwetter zusammen, das schon grelle, blendende Blitze entsandte; von Zeit zu Zeit blickte er besorgt rückwärts, denn Séverine wollte ihn in dieser Nacht aufsuchen. Er fürchtete, das Gewitter könnte zu früh ausbrechen und sie am Kommen verhindern. Als es ihm gelang, noch vor dem Losbruch des Unwetters den Bahnhof zu erreichen, schimpfte er auf die Reisenden, die heute wie die Schnecken aus den Waggons zu kriechen schienen.
    Roubaud stand auf dem Bahnsteig, er hatte Nachtdienst.
    »Zum Teufel, habt Ihr es eilig, in’s Bett zu kommen! Na, schlaft wohl!«
    »Danke.«
    Jacques pfiff, stieß den Zug aus der Halle und dampfte nach dem Depot. Die Flügel des mächtigen Thores standen weit offen und die Lison rollte in den rings geschlossenen Schuppen, eine Art zweigeleisiger Gallerie, in welcher sechs Maschinen Platz hatten. Es war drinnen fast dunkel, denn die vier Gaslaternen konnten die Finsterniß nicht erhellen, sondern ließen die beweglichen Schatten um so schwärzer erscheinen. Ab und zu erhellten grelle Blitze das Gerippe des Daches und die hohen Fenster links und rechts: man unterschied dann wie in einer Flammengarbe die gespaltenen Mauern, das von Kohlen geschwärzte Balkenwerk, kurz das ganze morsche Elend dieses schon längst unzureichend gewordenen Bauwerks.
    Zwei Lokomotiven standen schon erkaltet, eingeschlafen da.
    Pecqueux machte sich sofort daran, das Feuer des Heizofens zu löschen. Er stocherte wild in der Gluth umher und glühende Kohlenstücke fielen aus dem Aschkasten in den Graben.
    »Ich habe fürchterlichen Hunger, ich werde gleich meine Brodrinden aufknabbern,« meinte er. »Wie weit sind Sie?«
    Jacques antwortete nicht. Trotz seiner Eile wollte er doch die Lison nicht eher verlassen, bis die Gluth völlig gelöscht und die Kessel leer waren. Als tüchtiger Mechaniker machte er sich ein Gewissen daraus, so lange bei der Lokomotive zu bleiben. Wenn er Zeit hatte, so ging er sogar erst, nachdem sie sorgfältig besichtigt und geputzt war wie ein verhätscheltes Lieblingsthier. Das Wasser lief in dicken Strahlen jetzt in den Graben und er sagte nichts weiter als:
    »Schnell, schnell!«
    Ein fürchterlicher Donnerschlag schnitt ihm das Wort ab. Dieses Mal zeichneten sich die hohen Fenster so deutlich vom aufflammenden Himmel ab, daß man die zahllosen kleinen Scheiben hätte zählen können. Zur Linken bei den Drehbänken, welche behufs vorzunehmender Reparaturen dort aufgestellt waren, rasselte eine aufrecht stehen gelassene Eisenblechplatte mit der nachhaltigen Vibration einer Glocke. Der alte Dachstuhl krachte in allen Fugen.
    »Hu!« machte der Heizer.
    Der Maschinenführer machte eine verzweifelnde Geberde. Aus der Zusammenkunft wurde heute nichts, um so weniger, als jetzt ein wolkenbruchartiger Regen auf den Schuppen niederprasselte, der die Dachscheiben zu durchschlagen drohte. Es mußten dort oben schon einige Scheiben zerbrochen sein, denn dicke Tropfen fielen strippenweise auf die Lison. Ein Sturmwind fuhr durch das offen gebliebene Thor hinein, der den alten Bau über den Haufen rennen zu wollen schien.
    Pecqueux hörte mit der Hantirung an der Lokomotive auf.
    »Wir werden morgen besser sehen können … Es hat keinen Zweck noch weiter ihr Toilette zu machen.«
    Und auf seinen ersten Gedanken zurückkommend:
    »Ich muß etwas essen … Es regnet zu stark, um schon jetzt seinen Strohsack aufzusuchen.«
    Die Cantine grenzte direkt an das Depot; dagegen hatte die Direktion in der Rue François-Mazeline ein Hausgemiethet, in welchem Betten für die

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