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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Schädel zu zerschmettern? Sie hatte ihm ohne jeden vorausgegangenen Kampf angehört, ohne seine instinctive Neigung, sie todt auf den Rücken zu strecken, wie eine Anderen abgejagte Beute? Ja, er fühlte nicht mehr den Durst nach Rache für die uralten Beleidigungen, deren Gedächtniß ihm entschwunden war, für jene von Geschlecht zu Geschlecht gesteigerte Gemeinheit, die mit dem ersten im Innern der Höhle begonnenen Betruge ihren Anfang nahm. Nein, der Besitz dieser dort war von einem allmächtigen Reiz, sie war es, die ihn geheilt hatte, weil er in ihr eine andre, eine gewaltthätige in ihrer Schwachheit, sie mit dem Blute eines Menschen bedeckt sah, das sie wie mit einem Panzer des Schreckens umgab. Sie beherrschte ihn, denn er hatte solches noch nicht gewagt. Und im Gefühl leidenschaftlicher Dankbarkeit, eines zu sein mit ihr, schloß er sie von Neuem in seine Arme und bedeckte sie mit Küssen; sie war seine Gebieterin, sie konnte mit ihm machen, wonach immer sie verlangte.
    Und auch Séverine fühlte sich glücklich über ihre Hingabe. Es war ihr das eine Befreiung, das Ende eines Kampfes, dessen Grund sie gar nicht mehr recht hatte einsehen können. Warum hatte sie sich so lange gesträubt? Sie hatte sich ihm versprochen gehabt, sie hätte sich ihm schon längst ausliefern müssen, denn nur hierin konnte sie wahres Vergnügen und alle Annehmlichkeiten finden. Jetzt begriff sie, daß sie die Lust hierzu schon lange gefühlt hatte, selbst damals, als es ihr noch so schön dünkte, damit zu warten. Ihr Zartgefühl hatte allerdings das Glücksgefühl ihres Falles erhöht. Sie war entschieden zu solcher Hingabe wie geschaffen. Sie kostete dabei die wirkliche Freude der Frau aus, die erst gehätschelt sein will, die dann aber eben so viel Vergnügen bereitet als empfängt. Ihr Herz, ihr Körper fühlten ein ausschließliches Bedürfniß nach Liebe, aber die schändliche,an ihr begangene Gewaltthätigkeit sowohl wie die späteren Ereignisse hatten sie zur Entsagung gezwungen. Man hatte ihr bisheriges Leben gemißbraucht, mit Schmutz und Blut besudelt, so daß ihre blauen, so unschuldig blickenden Augen unter der düsteren Krone ihrer schwarzen Haare das schreckensvolle Starren bewahrt hatten. Trotz alledem war sie Jungfrau geblieben, erst diesem jungen Menschen gab sie sich zum ersten Male völlig hin. Sie betete ihn an, ihr verlangte, in ihm aufzugehen, seine Dienerin zu sein. Sie gehörte ihm an und er konnte über sie nach Gutdünken verfügen.
    »Nimm mich, behalte mich, mein Geliebter, ich will nichts andres als Du.«
    »Nein, nein, Geliebte, Du bist meine Herrin, ich bin nur da, um Dich zu lieben und Dir zu gehorchen.«
    Die Stunden verflossen. Schon längst hatte der Regen aufgehört, tiefe Stille umgab den Bahnhof, unterbrochen nur von einer einzigen fernen, vom Meer undeutlich heraufschallenden Stimme, Sie hielten noch einander umschlungen als ein Schuß sie zitternd auf die Füße brachte. Der Tag mußte bald anbrechen, ein bleicher Schimmer färbte oberhalb der Seinemündung den Himmel. Was bedeutete der Schuß? Es war eine Unklugheit und Thorheit, sich so lange verzögert zu haben. Die Einbildung spiegelte ihnen plötzlich vor, der Gatte verfolge sie mit Revolverschüssen.
    »Tritt nicht hinaus, ich will nachsehen.«
    Jacques schlich vorsichtig bis zur Thür. Durch die noch dichte Finsterniß hörte er den Galopp von Menschen, er erkannte die Stimme Roubaud’s der die Männer antrieb; er rief ihnen zu, daß er drei Diebe beim Stehlen von Kohlen abgefaßt hatte. Schon seit Wochen verging keine Nacht, in der er nicht solche Wahnvorstellungen von Räubern gehabt. Diesmal hatte er in der Einbildung eines jähen Schreckens auf gut Glück in die Finsterniß hineingefeuert.
    »Schnell, schnell, wir können nicht hierbleiben,« flüsterte der junge Mann. »Sie werden wahrscheinlich die Remise absuchen … Rette Dich!«
    Noch einmal preßten sie sich an die Brust, saugten sich ihre Lippen aufeinander. Dann glitt Séverine wie ein Schatten am Depot entlang, wo die mächtige Mauer sie verbarg, während er inmitten eines Kohlenhaufens verschwand.Es war die höchste Zeit gewesen, denn Roubaud kam in der That hierher. Er schwor darauf, die Diebe müßten in der Remise stecken. Die Laternen der Beamten tanzten über dem Erdboden. Man stritt sich, dann schlugen alle, ärgerlich über diese unnütze Verfolgung, wieder den Weg nach dem Bahnhof ein.
    Als Jacques beruhigt den Rückweg nach der Rue François-Mazeline

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