Die Bestie von Florenz
Graubart.
Was nicht nur das gesamte Archiv umfasste, das Spezi bei seinen Nachforschungen im Laufe von fünfundzwanzig Jahren angesammelt hatte, sondern auch sämtliches Material, das wir brauchten, um das Buch über die Bestie zu schreiben. Spezi war der Hüter unserer gesamten Recherchen; ich besaß nur Kopien von den allerneuesten Dokumenten.
Plötzlich begriff er, worum es bei der Durchsuchung in Wahrheit ging. Sie wollten die Veröffentlichung des Buchs verhindern.
»Scheiße! Wann bekomme ich die Sachen zurück?«
»Sobald wir alles überprüft haben«, entgegnete Graubart.
Spezi führte ihn in seine Dachkammer und zeigte ihm die Massen von Unterlagen, die sein Archiv bildeten: Stapel abgehefteter, vergilbter Zeitungsausschnitte, Fotos, Bücher und bergeweise Fotokopien von offiziellen Dokumenten und Urkunden, ballistischen Analysen, gerichtsmedizinischen Berichten, kompletten Verhandlungsprotokollen, Vernehmungen, Urteilen.
Die Polizisten begannen, alles in große Kartons zu laden.
Spezi rief einen Freund bei der ANSA an, der italienischen Nachrichtenagentur, und erwischte ihn glücklicherweise. »Sie durchsuchen mein Haus«, sagte er ihm. »Sie nehmen mir alles weg, was ich brauche, um zusammen mit Douglas Preston mein Buch über die Bestie zu verfassen. So kann ich kein Wort mehr schreiben.«
Fünfzehn Minuten später erschien die erste Nachricht von der Durchsuchung bei einem Journalisten auf den Computerbildschirmen sämtlicher Zeitungen und Fernsehsender in Italien.
Als Nächstes rief Spezi den Vorsitzenden des Journalistenverbands an, dann den Chef des Presseverbands und den Chefredakteur bei La Nazione . Sie alle waren eher empört denn überrascht. Sie versprachen ihm, dass sie mit dieser Story gewaltig Krach schlagen würden.
Spezis Telefon begann wie verrückt zu klingeln. Ein Kollege nach dem anderen rief ihn an, noch während die Hausdurchsuchung lief. Alle wollten ihn interviewen. Spezi versicherte ihnen, dass er sich mit ihnen treffen würde, sobald die Durchsuchung vorbei war.
Währenddessen standen schon die ersten Presseleute unten vor dem Haus.
Die Polizisten begnügten sich nicht damit, nur die Dokumente einzupacken, die Spezi dem Einsatzleiter gezeigt hatte. Sie begannen in Schubladen herumzuwühlen, Bücher aus den Regalen zu ziehen und CD-Boxen zu öffnen. Sie gingen auch ins Zimmer von Marios Tochter und durchsuchten ihren Kleiderschrank, ihre Unterlagen, ihre Bücher, Briefe, Tagebücher, Alben und Fotos, wobei sie alles auf dem Boden verstreuten und ein furchtbares Durcheinander anrichteten.
Spezi legte einen Arm um Myriam. Seine Frau zitterte. »Keine Sorge, das ist reine Routine.« Myriam trug inzwischen eine Jacke, und in einem günstigen Augenblick fischte er die Diskette hervor und schob sie ihr in die Tasche. Dann küsste er sie auf die Wange, als wollte er sie trösten. »Versteck das«, flüsterte er ihr dabei zu.
Ein paar Minuten später ließ sie sich, scheinbar völlig aufgelöst, auf einen Polsterhocker mit ausgefransten, teils aufgeplatzten Säumen sinken. Als gerade niemand hinsah, schob sie die Diskette rasch hinein.
Nach drei Stunden war die Polizei endlich fertig. Die Männer verluden die Kartons und baten Spezi, ihnen zur Carabinieri-Wache zu folgen, wo sie ein Inventar erstellen würden, das er dann unterschreiben müsse.
Auf der Wache setzten sie ihn auf einen braunen Kunstlederstuhl, wo er warten sollte, während die Liste erstellt wurde. Da erhielt er einen Anruf auf dem Handy. Es war Myriam, die versuchte, in der Wohnung wieder Ordnung zu schaffen und unklugerweise mit ihrem Mann französisch sprach. Spezi und seine Frau sprachen zu Hause meist französisch miteinander, weil sie Belgierin und die ganze Familie zweisprachig war. Ihre Tochter hatte französische Schulen in Florenz besucht.
»Mario«, sagte sie auf Französisch, »keine Sorge, sie haben nicht gefunden, was dich wirklich interessiert. Aber ich kann die Papiere für das Scagliola nicht finden.« Scagliola ist ein Stuckmarmor, und Spezi besaß einen sehr wertvollen Tisch mit Stuckmarmor aus dem siebzehnten Jahrhundert. Sie hatten ihn gerade restaurieren lassen und wollten ihn verkaufen.
Es war ungünstig, in diesem Moment von so etwas zu sprechen, und dann auch noch auf Französisch, da es ziemlich offensichtlich war, dass sein Handy abgehört wurde. Er fiel ihr ins Wort. »Myriam, das ist im Moment wirklich nicht wichtig … nicht jetzt …« Spezi errötete und klappte das Handy zu.
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