Die Bestie von Florenz
die Polizei mitgenommen hatte, gehörten sämtliche Notizen und Entwürfe zu dem Artikel für den New Yorker , der nie veröffentlicht worden war. Ich rief Dorothy Wickenden an, die leitende Redakteurin des Magazins, und sie nannte mir eine ganze Liste von Leuten, die mir helfen könnten, erklärte aber, da sie den Artikel ja nie veröffentlicht hätten, erscheine es ihr nicht richtig, wenn das Magazin sich direkt einmischte.
Tagelang telefonierte ich und schrieb Briefe, doch die Reaktion war minimal. Die traurige Wahrheit lautete, dass nur wenige Leute in Nordamerika einen italienischen Journalisten besonders spannend fanden, der die Polizei verärgert hatte, weshalb ihm die Unterlagen weggenommen worden waren – zu einer Zeit, als Journalisten im Irak in die Luft gesprengt und in Russland ermordet wurden. »Also, wenn Spezi verhaftet worden wäre«, hörte ich mehrmals, »tja, dann könnten wir da was machen.«
Schließlich schritt PEN ein. Am 11. Januar 2005 schickte das Writers-in-Prison-Committee von PEN International in London Giuttari einen Brief, in dem die Durchsuchung von Spezis Haus und die Beschlagnahme unserer Unterlagen kritisiert wurden. In dem Brief stand, PEN International finde es »besorgniserregend, dass hier eine Verletzung von Artikel 6.3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte vorliegt, die jeder angeklagten Person das Recht zusichert, schnellstmöglich und ›in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet zu werden‹«.
Giuttari reagierte darauf mit einer weiteren Durchsuchung von Spezis Wohnung am 24. Januar. Diesmal nahmen sie einen kaputten Computer und einen Spazierstock mit, in dem sie ein verstecktes elektronisches Gerät vermuteten.
Aber die Diskette, die Spezi sich in die Unterhose gestopft hatte, bekamen sie nie in die Finger, und wir konnten weiter an unserem Buch arbeiten. In den darauffolgenden Monaten gab die Polizei häppchenweise die meisten von Spezis Unterlagen, seinen Aufzeichnungen und unseren Notizen sowie seinen Computer zurück – den unseligen Türstopper jedoch nicht. Giuttari und Mignini wussten nun genau, was in dem Buch stehen würde, weil sie sämtliche Entwürfe auf Spezis Computer gefunden hatten. Und anscheinend gefiel ihnen nicht, was sie da gelesen hatten.
Eines schönen Morgens schlug Spezi die Zeitung auf und las eine Schlagzeile, bei der er fast vom Stuhl fiel:
NARDUCCI-MORD:
JOURNALIST UNTER VERDACHT
Giuttaris Verdächtigungen waren gereift wie Wein, der in einem schlecht verschlossenen Fass zu Essig wird. Spezi war vom Journalisten, der sich ständig einmischte, zum Verdächtigen in einem Mordfall geworden.
»Als ich das gelesen habe«, erzählte Spezi mir am Telefon, »kam ich mir vor wie in einer Verfilmung von Kafkas Der Prozess – in einem Remake mit Jerry Lewis und Dean Martin.«
Kapitel 43
Ein Jahr lang, von Januar 2005 bis Januar 2006, versuchten die beiden Anwälte Spezis vergeblich in Erfahrung zu bringen, was genau ihm denn nun eigentlich vorgeworfen wurde. Der Chefankläger von Perugia hatte die Vorwürfe unter segreto istruttorio gestellt, eine richterliche Anordnung, die es den Behörden verbietet, irgendetwas über die Vorwürfe zu enthüllen. In Italien lassen die Ermittler auf ein solches angeordnetes Untersuchungsgeheimnis hin meist etwas an ausgewählte Reporter durchsickern, die es dann veröffentlichen können, ohne dafür belangt zu werden. Auf diese Weise sorgen die Ermittler dafür, dass ihre Version der Geschichte bekannt wird, während es den Journalisten nicht möglich ist, selbst an Informationen heranzukommen und etwas anderes öffentlich zu machen. Dies schien auch hier der Fall zu sein. Spezi stand unter Verdacht, die Ermittlungen im Fall Narducci behindert zu haben, behaupteten die Zeitungen, was zu der Vermutung geführt hätte, er könnte selbst Komplize des Mörders und Anstifter der Vertuschungsaktion sein. Was das genau für die Vorwürfe gegen ihn bedeutete, blieb unklar.
Im Januar 2006 waren wir mit unserem Buch fertig und schickten es dem Verlag. Der Titel lautete Dolci Colline di Sangue . Wörtlich übersetzt bedeutet das Liebliche Hügel des Blutes , ein Wortspiel mit der gebräuchlichen italienischen Wendung dolci colline di Firenze , die lieblichen Hügel von Florenz. Es sollte im April 2006 erscheinen.
Anfang des Jahres 2006 rief Spezi mich von einer Telefonzelle in Florenz aus an. Er sagte, er sei bei der Arbeit an einer ganz
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