Die Bestie von Florenz
zu einem Abschiedsessen auf der Terrasse mit Blick über die Hügel. Das war am 24. Juni 2004. Myriam hatte ein phantastisches Essen zubereitet. Es gab Crostini mit Paprika und Anchovis, serviert mit einem Spumante aus dem Alto Adige; wilden Fasan und Rebhuhn, tags zuvor von einem Freund geschossen, in Weinblättern; einen Chianti classico vom Viticchio-Weinberg; Wildgemüse mit dem würzigen Olivenöl, das als lokale Spezialität gilt, und zwölf Jahre altem Balsamico; frischen Pecorino aus Marios Dorf Sant’Angelo; und Zuppa inglese.
Tags zuvor, am 23. Juni, war ein Artikel von Spezi in La Nazione erschienen, ein Interview mit Vanni, dem ehemaligen Briefträger von San Casciano, der als Komplize Paccianis verurteilt worden war. Spezi unterhielt uns mit der Geschichte, wie er Vanni durch puren Zufall begegnet war, bei Recherchen für eine ganz andere Story, in einem Pflegeheim. Niemand wusste, dass Vanni aus dem Gefängnis entlassen war, aus gesundheitlichen Gründen und wegen seines hohen Alters. Spezi erkannte ihn und nutzte die Gelegenheit, um ihn auf der Stelle zu interviewen.
»Ich werde als die Bestie sterben, aber ich bin unschuldig«, lautete die Schlagzeile. Vanni hatte sich mit dem Interview einverstanden erklärt, weil Spezi ihn, wie er sagte, an die »guten alten Zeiten« in San Casciano erinnert hatte. Er und Vanni hatten sich dort einmal auf einem Volksfest kennengelernt, lange bevor der arme Postbote zu einem von Paccianis berüchtigten Picknick-Freunden wurde. Sie waren zusammen in einem Auto voller Leute herumgefahren, und Vanni hatte die italienische Flagge aus dem Fenster geschwenkt. Vanni erinnerte sich an Spezi und wurde nostalgisch – und so bekam Spezi ihn schließlich zum Reden.
Die Sonne ging über den Florentiner Hügeln unter, während wir zu Abend aßen, und erfüllte die Landschaft mit einem goldenen Schimmer. Die Glocken der nahen mittelalterlichen Kirche Santa Margherita a Montici schlugen die Stunde, und die Glocken anderer Kirchen, irgendwo auf den Hügeln um uns herum, antworteten ihr. Die Luft war warm von den Strahlen der untergehenden Sonne und trug den Duft von Geißblatt zu uns herauf. Im Tal unter uns warfen die zinnenbewehrten Türme einer großen Burg lange Schatten auf die umgebenden Weinberge. Wir sahen zu, wie die Hügel von golden zu violett erloschen und schließlich in der Abenddämmerung verschwanden.
Der Kontrast zwischen dieser zauberhaften Landschaft und der Bestie, die sie einst durchstreift hatte, wurde mir in diesem Augenblick besonders bewusst.
Mario nahm den Sonnenuntergang zum Anlass, mir ein Geschenk zu überreichen. Ich packte es aus und fand darin einen Oscar aus Plastik, auf dessen Sockel stand: »Die Bestie von Florenz«.
»Für später, wenn dein Buch verfilmt wird«, erklärte Mario.
Er schenkte mir außerdem eine Bleistiftzeichnung von Pietro Pacciani auf der Anklagebank während seines Prozesses, die er mit einer Widmung versehen hatte: »Für Doug, zur Erinnerung an einen abscheulichen Florentiner und unsere grandiose Zusammenarbeit.«
Wieder zurück in unserem Haus, das wir in Maine gebaut hatten, hängte ich die Zeichnung an die Wand meiner Schreibhütte im Wald, zusammen mit einem Foto von Spezi in Trenchcoat und Filzhut, eine Gauloises zwischen den Lippen, in einer Metzgerei unter einer Reihe von Schweinsbacken.
Spezi und ich telefonierten oft miteinander, während wir weiter an unserem Buch über die Bestie arbeiteten. Ich vermisste das Leben in Italien, aber Maine war so ruhig, und dank des oft scheußlichen Wetters, neblig und kalt, konnte ich wunderbar arbeiten. (Allmählich wurde mir klar, weshalb Italien Maler hervorbrachte und England Schriftsteller.) Unser kleiner Ort, Round Pond, hat fünfhundertfünfzig Einwohner und könnte von einer Lithographie von Currier and Ives stammen, mit einer weißen Kirche mit Turm, holzverkleideten Häusern, einem General Store und einem Hafen voll Hummerboote, umgeben von Wäldern aus Eichen und Weymouthskiefern. Im Winter liegt der Ort unter einer dicken, glitzernden Schneeschicht begraben, und dampfiger Nebel steigt vom Meer auf. Die Verbrechensrate geht gegen null, und die wenigsten Leute machen sich die Mühe, ihre Häuser abzuschließen, selbst dann, wenn sie in Urlaub fahren. Das alljährliche Bohnenessen der Grange, einer Organisation der amerikanischen Landwirte, ist ein Ereignis, dem die Titelseite der Lokalzeitung gewidmet wird. Die »Stadt«, achtzehn Kilometer entfernt, ist
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