Die Bestie von Florenz
den italienischen Botschafter in den USA, Amnesty International, die Stiftung Freedom Forum, Human Rights Watch und ein Dutzend weiterer internationaler Organisationen.
Dieser Brief und Proteste anderer Nichtregierungsorganisationen, darunter Reporters sans Frontières aus Paris, schien das Blatt in Italien zu wenden. Die italienische Presse fand ihren Mut wieder – und wie.
»Die Inhaftierung Spezis ist eine Schande«, schrie ein Leitartikel im Libero , verfasst vom stellvertretenden Geschäftsführer des Magazins. Der Corriere della Sera brachte auf der Titelseite einen Leitartikel mit der Überschrift »Justiz ohne Beweise« und bezeichnete Spezis Verhaftung als »ungeheuerlich«. Die italienische Presse griff endlich die Frage auf, was Spezis Inhaftierung für die Pressefreiheit und das internationale Ansehen Italiens bedeutete. Es folgte eine Flut von Artikeln. Spezis Kollegen bei La Nazione unterschrieben einen Appell, die Zeitung gab eine Stellungnahme heraus. Viele Journalisten erkannten Spezis Verhaftung endlich als einen Angriff auf einen Journalisten, dessen »Verbrechen« darin bestand, dass er eine offizielle Ermittlung kritisiert hatte – damit wurde der Journalismus an sich kriminalisiert. In Italien erhob sich der Protest von Presseverbänden und Zeitungsverlagen. Eine Gruppe angesehener Journalisten und Schriftsteller unterschrieb einen offenen Brief, in dem es hieß: »Offen gestanden hätten wir es nicht für möglich gehalten, dass die unermüdliche Suche nach der Wahrheit fehlinterpretiert werden könnte als illegale Unterstützung der Schuldigen.«
»Der Fall Spezi und Preston wirft einen düsteren Schatten auf das internationale Ansehen unseres Landes«, sagte der Vorsitzende der italienischen Organisation Information Safety and Freedom dem Londoner Guardian , »und könnte uns auf jeder Liste, die Pressefreiheit und Demokratie zum Maßstab hat, ganz weit nach unten rutschen lassen.«
Ich wurde telefonisch von der italienischen Presse belagert und gab eine ganze Reihe von Interviews. Meine Anwältin in Italien war nicht begeistert davon, mich überall zitiert zu sehen. Sie hatte einen Termin beim Oberstaatsanwalt von Perugia, Giuliano Mignini, gehabt und mit ihm über meinen Fall gesprochen, um zu erfahren, wie die Vorwürfe gegen mich genau lauteten, die natürlich mit einem segreto istruttorio versiegelt waren. Sie schrieb mir danach in einem Brief, dass sie bei dem Staatsanwalt »eine gewisse Missbilligung« meiner Kommentare gespürt habe, die ich nach meiner Vernehmung gegenüber den Medien geäußert hatte. Trocken setzte sie hinzu: »Der Oberstaatsanwalt fand es gewiss nicht erfreulich, dass die Sache auf eine internationale diplomatische Ebene gehoben wurde. Es ist Ihrem Interesse in diesem Fall nicht dienlich, wenn Sie öffentlich gegen den Staatsanwalt Stellung beziehen, und wenn Sie einige Ihrer damaligen Äußerungen gegenüber der Presse (die gewiss einen negativen Eindruck auf Dr. Mignini gemacht haben) noch einmal überdacht haben, wäre es opportun, deren Auswirkungen zu mildern, indem Sie sich von ihnen distanzieren.«
Sie konnte mir endlich die Vorwürfe nennen, die gegen mich erhoben wurden: Falschaussage bei der Vernehmung durch den Staatsanwalt, »Rufmord« durch den Versuch, einer unschuldigen Person ein Verbrechen anzulasten, »üble Nachrede mittels eines Druckwerks« und Behinderung einer Behörde bei der Erfüllung einer wichtigen öffentlichen Aufgabe. Mir wurde aber nicht, wie ich befürchtet hatte, die Mittäterschaft im Mordfall Narducci angelastet.
Ich schrieb zurück, dass ich mich leider nicht von den betreffenden Kommentaren distanzieren könne. Außerdem sei es mir nicht möglich, Migninis Unwohlsein angesichts der Tatsache, dass der Fall eine »internationale diplomatische Ebene« erreicht hatte, irgendwie zu mildern.
Inmitten dieses Wirbels erhielt ich eine weitere lange E-Mail von Gabriella Carlizzi, die unser Buch, Dolci Colline di Sangue , offenbar als eine der Allerersten gekauft hatte.
Hier bin ich wieder, lieber Douglas … Gestern Abend kam ich sehr spät aus Perugia zurück. In der vergangenen Woche war ich dreimal bei Gericht, denn wie Du ja weißt, haben sich seit Mario Spezis Verhaftung viele Menschen, die seit Jahren in Angst und Schrecken lebten, an mich gewandt, und jeder von ihnen wollte von seinen Erfahrungen mit Mario erzählen …
Jetzt fragst Du Dich vielleicht: Warum haben diese Leute bisher geschwiegen?
Aus Angst vor Mario Spezi
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