Die Bestie von Florenz
gewartet. Als sie den Oberstaatsanwalt allein durch den Flur gehen sah, sprang sie auf und zeigte wie ein erzürnter Racheengel mit dem Finger auf den Mann. »Ich weiß, dass Sie ein gläubiger Mensch sind«, rief sie mit Feuer in der Stimme. »Gott wird Sie dafür bestrafen, was Sie getan haben. Gott wird Sie strafen! «
Migninis Gesicht färbte sich tiefrot, und ohne ein Wort ging er steif den Flur entlang und verschwand um eine Ecke.
Später erklärte Myriam ihrem Mann, dass sie nicht hätte schweigen können. »Ich hatte gehört, wie Mignini im Verhandlungsraum herumgebrüllt und schreckliche Dinge über dich behauptet hat – dass du ein Verbrecher seist.«
Als Mignini in den Verhandlungsraum zurückkehrte, fuhr er mit seiner Begründung fort, die allmählich eher an eine Inquisition erinnerte denn an ein Gerichtsverfahren. Er sprach von Spezis »hoher Intelligenz, die seine ungeheure kriminelle Energie noch gefährlicher« mache. Er schloss: »Die Gründe dafür, Spezi in Haft zu belassen, sind sogar noch dringender geworden. Denn inzwischen hat er bewiesen, wie gefährlich er ist, indem er es selbst aus einer Gefängniszelle heraus geschafft hat, in den Massenmedien eine Kampagne zu seinen Gunsten zu lancieren!«
Spezi erinnerte sich an diesen Augenblick. »Der vorsitzenden Richterin fiel ein Stift aus der Hand und landete mit einem leisen Klick auf dem Tisch, und von diesem Moment an machte sie sich keine Notizen mehr.« Offenbar war sie zu irgendeinem Schluss gelangt.
Am Ende, nachdem alle anderen gesprochen hatten, war Spezi an der Reihe.
Ich hatte Spezis Fähigkeiten als Redner schon lange bewundert – seine witzigen Formulierungen, die leichte, spontane Redeweise, die logische Organisation der Fakten, die nacheinander präsentiert wurden wie die Absätze eines perfekt strukturierten Zeitungsartikels, prägnant, klar und präzise. Jetzt wandte er diese beträchtliche Begabung vor dem Gericht an. Spezi wandte sich direkt an Mignini und begann zu sprechen. Mignini wich seinem Blick aus. Die Anwesenden erzählten später, er habe Migninis Anschuldigungen eine nach der anderen zerlegt, mit einem Anflug stiller Verachtung in der Stimme die wackelige, konspirative Logik des Staatsanwalts niedergewalzt und deutlich gemacht, dass Mignini seine Theorien mit keinerlei greifbaren Beweisen untermauern konnte.
Noch während er sprach, erzählte Spezi mir später, konnte er erkennen, dass seine Worte bei den Richterinnen sichtlich Wirkung zeigten.
Spezi dankte dem Oberstaatsanwalt für die Komplimente an seine Intelligenz und sein Erinnerungsvermögen und zitierte dann Wort für Wort die Sätze aus Migninis Vortrag, die mit jenen identisch waren, die Gabriella Carlizzi zuvor auf ihrer Website veröffentlicht hatte. Er fragte Mignini, ob er diese erstaunliche Übereinstimmung zwischen seinen Worten von gerade eben und ihren Worten von vor einigen Monaten erklären könne. Er fragte ihn, ob Carlizzi nicht bereits wegen Verleumdung verurteilt worden sei, weil sie vor zehn Jahren öffentlich behauptet hatte, der Schriftsteller Alberto Bevilacqua sei die Bestie von Florenz? Und entsprach es nicht ebenso den Tatsachen, dass derselben Carlizzi derzeit wegen Betrugs an nicht geschäftsfähigen Personen der Prozess gemacht wurde?
Dann wandte Spezi sich an die vorsitzende Richterin. »Ich bin nur ein Journalist, der sich bemüht, das zu tun, was in seinem Beruf richtig ist, und ich bin ein guter Mensch.«
Damit war er fertig.
Die mündliche Verhandlung war vorbei. Zwei Wärter geleiteten Spezi hinaus und brachten ihn mit dem Aufzug in die uralten Kellergewölbe des mittelalterlichen Palastes, wo er in einer winzigen, kahlen Zelle eingeschlossen wurde, die vermutlich schon seit Jahrhunderten Gefangene aufnahm. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ sich zu Boden gleiten, vollkommen erschöpft und mit leerem Geist.
Nach einer Weile hörte er ein Geräusch und öffnete die Augen. Einer seiner Wärter stand mit einer Tasse heißem Espresso vor ihm, die er von seinem eigenen Geld gekauft hatte. »Spezi, hier bitte. Sie sehen aus, als könnten Sie den brauchen.«
Kapitel 56
Spät am Abend luden sie Spezi wieder in den Minibus und brachten ihn zurück in seine Zelle im Capanne-Gefängnis. Der nächste Tag war ein Samstag, und das Gericht schloss um ein Uhr. Bis dahin würden die Richterinnen also ihre Entscheidung verkünden.
Am Samstag wartete Spezi in seiner Zelle. Seine Mitgefangenen in diesem
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