Die Bestie von Florenz
der GIDES installiert worden. Obendrein hatte Giuttari auch noch Telefonate und Gespräche einiger Florentiner Richter und Ermittler abgehört, darunter Migninis Florentiner Kollege, Oberstaatsanwalt Paolo Canessa. Offenbar hatte Mignini sie alle verdächtigt, an einer gewaltigen Verschwörung beteiligt zu sein, die seine Ermittlungen gegen die Hintermänner der Bestien-Morde behindern wollte.
Im Sommer 2006 wurden Giuttari und Mignini wegen Amtsmissbrauchs angeklagt. Die GIDES wurde aufgelöst, und sofort ergaben sich Fragen, die darauf hinwiesen, dass die Sonderkommission nie offiziell genehmigt worden war. Giuttari verlor seine Mitarbeiter, und der Fall der Bestie wurde ihm entzogen. Man machte ihn zum Kommissar a disposizione , sprich: ohne festes Ressort oder eigenen Zuständigkeitsbereich.
Mignini hat seinen Posten als Oberstaatsanwalt von Perugia bisher nicht verloren, aber sein Stab wurde um zwei zusätzliche Ermittler erweitert, die ihn angeblich bei seiner vielen Arbeit entlasten sollten; doch jeder wusste, dass ihr wahrer Auftrag lautet, auf ihn aufzupassen. Mignini und Giuttari werden sich wegen Amtsmissbrauchs und anderer Verbrechen vor Gericht verantworten müssen.
Am 3. November 2006 erhielt Spezi für Dolci Colline di Sangue den begehrtesten Journalistenpreis Italiens und den alljährlich an einen Autor verliehenen Preis der Pressefreiheit.
Kapitel 58
Der Artikel im Atlantic Monthly wurde im Juli veröffentlicht. Ein paar Wochen später erhielt das Magazin einen Brief auf altmodischem Briefpapier, offensichtlich auf einer Schreibmaschine getippt. Das war ein außergewöhnlicher Brief, verfasst von Niccolòs Vater, Graf Neri Capponi, dem Oberhaupt eines der ältesten und glorreichsten Adelshäuser Italiens.
Bei meiner ersten Begegnung mit Niccolò hatte dieser mir den Grund für den langfristigen Erfolg seiner Familie in Florenz erklärt: Sie hatten sich nie auf Kontroversen eingelassen, sich in allen Angelegenheiten diskret und umsichtig gezeigt und nie versucht, in den ersten Rang aufzusteigen. Achthundert Jahre lang war die Familie Capponi in Florenz erfolgreich gewesen, indem sie sich davor gehütet hatte, der »Nagel, der herausragt« zu sein, wie Niccolò sich sieben Jahre zuvor in seinem zugigen Palast ausgedrückt hatte.
Doch nun hatte Graf Neri mit der Familientradition gebrochen. Er hatte einen Leserbrief geschrieben. Und das war nicht irgendein Brief, sondern eine gepfefferte Anklage der italienischen Strafjustiz, und das von einem Mann, der selbst die Richterwürde innehatte und als Anwalt tätig war. Graf Neri wusste, wovon er sprach, und er drückte sich klar und deutlich aus.
GRAF CAPPONI
Geehrte Damen und Herren,
die juristische Farce, die Douglas Preston und Mario Spezi durchmachen mussten, ist nur die Spitze des Eisbergs. Die italienische Richterschaft (zu der auch die Staatsanwälte gehören) ist ein Teil des öffentlichen Dienstes. Dieser spezielle Teil wählt seine Mitglieder selbst aus, regiert und überwacht sich selbst und ist niemandem Rechenschaft schuldig: ein Staat im Staate! Diesen Apparat von Bürokraten kann man grob in drei Gruppen teilen: eine große Minderheit, die korrupt und noch mit der ehemaligen kommunistischen Partei verflochten ist; eine große Gruppe ehrlicher Menschen, die zu verängstigt sind, um sich der politischen Minderheit zu widersetzen (die die Dienstaufsicht beherrscht); und eine Minderheit mutiger, aufrechter Menschen mit geringem Einfluss. Politisch motivierte und unehrliche Richter haben eine todsichere Methode, ihre politischen oder sonstigen Gegner zum Schweigen zu bringen oder zu diskreditieren. Eine fingierte, geheime Anklage, angezapfte Telefone, Gespräche (oft manipuliert) werden an die Presse weitergereicht, die mit einer Schmutzkampagne umso mehr Zeitungen verkauft, eine spektakuläre Festnahme, verlängerter Gewahrsam unter denkbar schlechtesten Haftbedingungen, Verhöre unter großem Druck und schließlich ein Prozess, der sich über Jahre hinzieht und mit dem Freispruch eines inzwischen ruinierten Mannes endet. Spezi hatte das Glück, dass der einflussreiche Oberstaatsanwalt von Florenz kein Freund seines Kollegen aus Perugia ist und, so hat man mir gesagt, Spezis Freilassung »vorschlug«: Das Gericht in Perugia, so hat man mir gesagt, nahm diesen »Vorschlag« an.
Es mag Sie interessieren, dass die Anzahl der Justizirrtümer in Italien (Freisprüche von ruinierten Angeklagten eingeschlossen) sich auf viereinhalb Millionen
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