Die Bestie von Florenz
Fälle in den letzten fünfzig Jahren beläuft.
Hochachtungsvoll
Neri Capponi
P. S. Ich möchte Sie bitten, meinen Namen möglichst nicht zu veröffentlichen oder auf die Initialen zu verkürzen, da ich Vergeltungsmaßnahmen gegen mich und meine Familie befürchten muss. Sollte es nicht möglich sein, meinen Namen geheim zu halten, dann veröffentlichen Sie ihn eben, Gott wird schon auf mich achtgeben! Die Wahrheit muss ans Licht kommen.
Der Atlantic druckte den Brief mit seinem vollen Namen.
Die britische Zeitung The Guardian brachte ebenfalls einen Artikel über den Fall mit einem Interview mit Hauptkommissar Giuttari. Er sagte, meine Behauptung, er hätte mir mit der Festnahme gedroht, falls ich je nach Italien zurückkehrte, sei gelogen, und er beharrte darauf, dass Spezi und ich auf dem Gelände der Villa gefälschte Beweise plaziert hätten. »Preston hat nicht die Wahrheit gesagt«, erklärte er. »Unsere Aufzeichnungen werden das beweisen. Spezi wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen.«
Der Artikel im Atlantic erregte die Aufmerksamkeit eines Redakteurs bei Dateline NBC , der Mario und mich bat, an einer Sendung über die Bestie von Florenz mitzuwirken. Ich kehrte im September 2006 reichlich beklommen nach Italien zurück, zusammen mit dem Filmteam von Dateline NBC. Meine italienische Anwältin hatte mir mitgeteilt, dass es angesichts der Schwierigkeiten, in denen Giuttari und Mignini steckten, für mich vermutlich nicht gefährlich sei, nach Italien einzureisen. Außerdem versprach mir NBC, einen Höllenlärm zu schlagen, falls ich am Flughafen festgenommen werden sollte. Für alle Fälle erwartete uns ein Kamerateam von NBC schon am Flughafen, bereit, meine Verhaftung auf Film zu bannen. Ich war froh, dass ich ihnen diese Sensation nicht liefern konnte.
Spezi und ich brachten Stone Phillips, den Moderator der Sendung, zu den Mordschauplätzen, wo sie uns dabei filmten, wie wir über die Morde und unsere eigenen Erlebnisse mit der italienischen Justiz sprachen. Stone Phillips interviewte Giuttari, der weiterhin behauptete, Spezi und ich hätten bei der Villa Beweise deponiert. Er kritisierte außerdem unser Buch. »Anscheinend hat Mr. Preston seine Fakten kein bisschen recherchiert … 1983, als die beiden jungen Deutschen ermordet wurden, war diese Person [Antonio Vinci] wegen eines anderen Verbrechens, das nichts mit dem Fall der Bestie zu tun hat, im Gefängnis.« Phillips gelang auch ein kurzes Interview mit Antonio Vinci, ohne laufende Kamera. Vinci bestätigte, was Giuttari behauptet hatte – dass er zum Zeitpunkt eines Bestien-Mordes im Gefängnis gesessen habe. Vielleicht hatten Giuttari und Vinci nicht damit gerechnet, dass NBC auch das überprüfen würde. In der Sendung sagte Stone Phillips: »Wir haben diese Angaben später überprüft und festgestellt, dass er [Antonio] zu keinem Tatzeitpunkt der Bestien-Morde in Haft war. Er und Giuttari haben sich entweder geirrt oder in diesem Punkt gelogen.«
Vinci regte sich viel mehr über die Andeutung auf, er sei impotent, als darüber, dass man ihn für die Bestie von Florenz halten könnte. »Wenn Spezis Frau jünger und hübscher wäre«, sagte er zu Phillips, »dann würde ich denen zeigen, wer hier nicht impotent ist – ich würde es Ihnen zeigen, auf der Stelle, hier auf diesem Tisch.«
Ganz zum Schluss stellte Phillips Antonio Vinci eine Frage: »Sind Sie die Bestie von Florenz?«
»Er sah mir in die Augen«, berichtete Phillips, »nahm meine Hand und sagte nur ein Wort. Innocente . Unschuldig.«
Kapitel 59
Während der Dreharbeiten für Dateline NBC hatten Spezi und ich ein Erlebnis, das nicht auf Film gebannt wurde. Stone Phillips wollte Winnie Rontini interviewen, die Mutter von Pia Rontini, einem Opfer der Bestie. Die junge Frau war am 29. Juni 1984 bei La Boschetta in der Nähe von Vicchio ermordet worden. Während das Kamerateam bei den Autos auf dem Dorfplatz wartete, im Schatten des Giotto-Denkmals, gingen Spezi und ich die Straße zu der alten Villa entlang, um Winnie Rontini zu fragen, ob sie zu einem Interview bereit sei.
In stummer Bestürzung blieben wir vor dem Haus stehen. Das rostige Eisentor hing nur noch an einer Angel. Verdorrte Büsche im Garten raschelten im Wind, und das Laub hatte sich in allen Ecken angehäuft. Die Fensterläden waren geschlossen, viele Lamellen gebrochen oder herausgefallen. Ein halbes Dutzend Krähen hockte auf dem Dachfirst wie traurige schwarze Wimpel.
Mario drückte auf den
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