Die Bestie von Florenz
eingegangen, als sie das Verbrechen in einer belebten Samstagnacht unmittelbar an einer Hauptstraße begangen hatte, und der Täter hatte sich nur gerettet, indem er beinahe übermenschlich kühl und gelassen reagiert hatte. Die Ermittler stellten später fest, dass während der Stunde, in der das Verbrechen geschehen war, mindestens sechs Autos an der Stelle vorbeigefahren waren. Einen Kilometer weiter joggten zu dem Zeitpunkt zwei Leute, die die kühle Nachtluft nutzen wollten, und neben der Abzweigung zur Burg von Poppiano parkte ein weiteres Pärchen am Straßenrand, das sich bei eingeschalteter Innenbeleuchtung unterhielt.
Der nächste Wagen, der vorbeikam, hielt an, weil der Fahrer einen Unfall vermutete. Als der Krankenwagen eintraf, war das Mädchen bereits tot. Der Junge atmete noch. Er verstarb im Krankenhaus, ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen.
Am nächsten Morgen bat eine der Staatsanwältinnen, Silvia Della Monica, Mario Spezi und einige andere Journalisten in ihr Büro. »Sie müssen mir helfen«, erklärte sie. »Ich möchte, dass Sie alle schreiben, das männliche Opfer liege noch lebend im Krankenhaus und könnte der Polizei nützliche Angaben gemacht haben. Vielleicht ist das reine Zeitverschwendung, aber wenn wir damit jemandem Angst einjagen können, so dass er vielleicht einen Fehler macht … wer weiß?«
Die Journalisten taten, worum sie sie gebeten hatte. Aber es kam nichts dabei heraus – zumindest schien es zunächst so.
Am selben Tag, nach einer langen, hitzigen Diskussion, entschieden die zuständigen Untersuchungsrichter, das Phantombild zu veröffentlichen, das nach dem vorherigen Doppelmord im Campo delle Bartoline entstanden war. Am 30. Juni erschien das brutale Gesicht des unbekannten Verdächtigen auf den Titelseiten in ganz Italien, dazu eine Beschreibung des roten Alfa Romeo.
Die Reaktion verblüffte die Ermittler. Säckeweise Post und zahllose Anrufe überwältigten die Staatspolizei, die Carabinieri, die Staatsanwaltschaft und die Lokalpresse. Viele Leute sahen in diesem groben, bösen Gesicht einen geschäftlichen Konkurrenten oder Rivalen in Liebesdingen, einen Nachbarn, einen ansässigen Arzt oder Metzger. »Die Bestie ist Professor der Gynäkologie, ehemaliger Leiter der gynäkologischen Abteilung im Krankenhaus von …«, lautete eine typische Anschuldigung. Andere Briefeschreiber waren sicher, dass es ein Nachbar war, denn »seine erste Frau hat ihn verlassen, dann seine Freundin und dann noch eine Freundin, und jetzt wohnt er bei seiner Mutter«. Polizei und Carabinieri waren wie gelähmt durch den Versuch, jedem Hinweis nachzugehen.
Dutzende Menschen wurden plötzlich zur Zielscheibe argwöhnischer Blicke und Verdächtigungen. Noch an dem Tag, an dem das Phantombild veröffentlicht wurde, versammelte sich eine zornige Menge vor einer Metzgerei in der Nähe der Porta Romana in Florenz. Viele Leute hielten eine Zeitung mit dem Bild in der Hand. Wenn jemand Neues zu der Menge stieß, betrat derjenige meist erst den Laden, um sich selbst zu überzeugen, und schloss sich dann den aufgebrachten Menschen draußen an. Die Metzgerei musste für eine Woche schließen.
Am selben Tag wurde auch ein Pizzabäcker in einer Pizzeria namens Red Pony zum Verdächtigen, weil er dem Phantombild so ähnlich sah. Alles begann mit einer Gruppe Jugendlicher, die sich über ihn lustig machten, indem sie mit der Zeitung in die Pizzeria kamen und eine große Show daraus machten, ihn mit dem Bild zu vergleichen, um dann hinauszurennen, als hätten sie panische Angst bekommen. Am nächsten Tag nach dem Mittagessen schlitzte der Mann sich selbst die Kehle auf.
Die Polizei erhielt zweiunddreißig Anrufe, in denen ein gewisser Taxifahrer aus dem alten Stadtviertel San Frediano als die Bestie identifiziert wurde. Ein Kommissar beschloss, den Mann zu überprüfen. Er rief die Taxizentrale an und deichselte es so, dass der Fahrer ihn abholte und zum Polizeipräsidium fuhr, wo seine Männer das Taxi umzingelten und dem Fahrer befahlen, auszusteigen. Als der Taxifahrer vor ihnen stand, waren die Männer bass erstaunt: Der Mann ähnelte dem Phantombild so vollkommen, dass es ein Foto von ihm hätte sein können. Der Kommissar ließ den Fahrer in sein Büro bringen und erlebte die nächste Überraschung, als der Mann erleichtert aufseufzte. »Wenn Sie mich nicht hergebracht hätten«, sagte er, »wäre ich von selbst gekommen, sobald meine Schicht geendet hätte. Seit dieses Bild in der Zeitung
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