Die Bestie von Florenz
war, lebe ich in der Hölle. Ich habe nur noch Fahrgäste, die mitten unter der Fahrt plötzlich aussteigen wollen.« Eine Überprüfung ergab rasch, dass der Taxifahrer die Verbrechen nicht begangen haben konnte – die Ähnlichkeit war reiner Zufall.
Eine große Menschenmenge erschien zum Begräbnis von Paolo und Antonella, den beiden Opfern. Kardinal Bellini, der Erzbischof von Florenz, hielt die Predigt und machte daraus eine Anklage gegen die moderne Welt. »Viel ist in den jüngsten, tragischen Tagen die Rede gewesen«, psalmodierte er, »von Bestien, vom Wahnsinn, von unvorstellbar grausamen Verbrechen. Doch wir alle wissen, dass Wahnsinn nicht einfach aus dem Nichts erscheint; der Wahnsinn ist die irrationale, gewaltsame Explosion einer Welt, einer Gesellschaft, die ihre Werte verloren hat, die mit jedem Tag noch schädlicher wird für den menschlichen Geist. Heute Nachmittag«, schloss der Kardinal, »stehen wir hier als stumme Zeugen einer der schwersten Niederlagen des Guten im Menschen.«
Die Verlobten wurden nebeneinander beigesetzt und das einzige Foto, auf dem beide zusammen abgebildet waren, zwischen ihre Gräber gelegt.
Aus der Lawine von Anschuldigungen, Briefen und Anrufen, die im Hauptquartier der Carabinieri in Florenz eingingen, ragte ein seltsamer Brief auffällig heraus. In dem Umschlag steckte nichts als ein vergilbter alter Zeitungsausschnitt aus La Nazione ; er berichtete vom Mord an einem Pärchen, das sich im Hinterland von Florenz in einem geparkten Wagen geliebt hatte. Die beiden Opfer waren mit einer Beretta erschossen worden, und am Tatort hatte man Hülsen von Winchester-Geschossen der Serie H gefunden. Jemand hatte auf den Ausschnitt gekritzelt: »Sehen Sie sich dieses Verbrechen noch einmal an.« Das Unheimlichste an dem Zeitungsausschnitt war das Datum, an dem der Artikel erschienen war: der 23. August 1968.
Das Verbrechen war vierzehn Jahre zuvor begangen worden.
Kapitel 7
Dank eines glücklichen bürokratischen Fehlers lagen die Hülsen von jenem alten Tatort, die längst hätten weggeworfen werden sollen, noch immer in einem Tütchen in den staubigen Akten zu dem Fall.
Jede trug am Rand die einmalige Spur von der Waffe der Bestie.
Die Ermittler begannen den alten Fall energisch wieder aufzurollen. Allerdings standen sie sofort vor einer Sackgasse: Der Doppelmord von 1968 war aufgeklärt worden. Der Fall war ganz klar gewesen. Ein Mann hatte die Tat gestanden und war verurteilt worden, und er konnte nicht die Bestie von Florenz sein, weil er während der ersten neueren Morde im Gefängnis gesessen hatte und seit seiner Entlassung in einer Anstalt lebte, unter dem wachsamen Auge der Nonnen und so schwach, dass er kaum laufen konnte. Es war völlig unmöglich, dass er irgendeines dieser Verbrechen begangen haben konnte. Aber sein Geständnis war auch nicht falsch – es hatte spezifische, genaue Details der Tat enthalten, von denen nur jemand wissen konnte, der selbst am Tatort gewesen war.
Oberflächlich erschienen die Umstände des Mordes von 1968 einfach, armselig, ja banal. Eine verheiratete Frau, Barbara Locci, hatte eine Affäre mit einem sizilianischen Maurer gehabt. Eines Abends hatten sie nach dem Kino an einer stillen Landstraße geparkt und sich geliebt. Der eifersüchtige Ehemann der Frau hatte sie beim Sex überfallen und beide erschossen. Der Ehemann, ein Einwanderer von der Insel Sardinien namens Stefano Mele, wurde ein paar Stunden später verhaftet. Als ein Test mit einem Paraffin-Handschuh bewies, dass er kürzlich eine Schusswaffe abgefeuert hatte, brach er zusammen und gestand, seine Ehefrau und ihren Liebhaber in einem Eifersuchtsanfall getötet zu haben. Er wurde zum abgemilderten Strafmaß von vierzehn Jahren verurteilt, wegen »Geistesschwäche«.
Fall abgeschlossen.
Die Tatwaffe war nie gefunden worden. Mele hatte damals behauptet, er habe sie in einen nahen Entwässerungsgraben geworfen. Doch der Graben und die gesamte Umgebung waren noch in der Nacht des Verbrechens gründlich abgesucht worden, und dabei war keine Pistole aufgetaucht. Damals hatte niemand der fehlenden Tatwaffe große Bedeutung beigemessen.
Die Ermittler fielen in der Rehabilitationseinrichtung in der Nähe von Verona ein, wo Mele jetzt lebte. Sie befragten ihn gründlichst. Vor allem wollten sie wissen, was er nach dem Doppelmord mit der Waffe gemacht hatte. Aber Mele redete nur Unsinn; er war schon halb dement. Er widersprach sich ständig selbst und vermittelte den
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