Die Bestie von Florenz
in dem ersten Opfer gesteckt hatte, könnte eine biblische Botschaft sein, die an die Worte Jesu erinnern sollte, der »jede Rebe, die keine Frucht bringt, entfernt«.
Die Polizei nahm die Savonarola-Theorie ebenfalls ernst und überprüfte in aller Stille gewisse Geistliche, die für seltsame oder unübliche Gewohnheiten bekannt waren. Mehrere Florentiner Prostituierte bestätigten den Ermittlern, dass sie hin und wieder von einem Priester mit sehr exzentrischen Vorlieben besucht wurden. Er bezahlte sie großzügig, aber nicht für gewöhnlichen Sex, sondern dafür, ihnen das Schamhaar abrasieren zu dürfen. Die Polizei interessierte sich sehr dafür, denn das war ein Mann, der es genoss, mit einer Rasierklinge an diesem Körperteil zu hantieren. Die Mädchen konnten der Polizei sogar seinen Namen und die Adresse nennen.
Eines frischen Sonntagmorgens betrat eine kleine Gruppe Polizisten und Carabinieri in Zivil, angeführt von zwei Untersuchungsrichtern, eine uralte Landkirche, die zwischen Zypressen in den bezaubernden Hügeln südwestlich von Florenz lag. Die Gruppe wurde in die Sakristei vorgelassen, wo der Priester eben dabei war, das Messgewand anzulegen. Sie zeigten ihm einen Gerichtsbeschluss, erklärten ihm den Grund ihres Besuchs und verkündeten ihre Absicht, die Kirche, das Grundstück, den Beichtstuhl, die Altäre, Reliquiare und das Tabernakel zu durchsuchen.
Der Priester taumelte und fiel beinahe in Ohnmacht. Er versuchte gar nicht erst, seine nächtliche Berufung zum Barbier der Damenwelt zu leugnen, schwor aber hoch und heilig, dass er nicht die Bestie von Florenz sei. Er äußerte Verständnis dafür, dass die Polizei das Anwesen durchsuchen musste, bat aber eindringlich darum, die Durchsuchung bis nach der Messe aufzuschieben und den Grund dafür geheim zu halten.
Der Priester durfte seinen Schäfchen die Messe lesen. Die Polizisten und Ermittler wohnten dem Gottesdienst ebenfalls bei und verhielten sich wie Stadtmenschen, die einen Ausflug gemacht hatten, um eine Messe auf dem Land zu erleben. Sie behielten den Priester scharf im Auge, damit er während des Gottesdienstes nicht etwa irgendeinen wertvollen Beweis verschwinden ließ.
Die Durchsuchung begann, sobald die Gemeinde das Gotteshaus verlassen hatte, doch die Ermittler konnten weiter nichts beschlagnahmen als das Rasiermesser des Priesters, und der Verdacht gegen ihn war bald ausgeräumt.
Kapitel 6
Trotz der sehr erfolgreichen journalistischen Karriere, die er dem Bestien-Fall verdankte, lief für Spezi nicht alles gut. Die Brutalität der Verbrechen machte ihm sehr zu schaffen. Er bekam Albträume und fürchtete immer mehr um die Sicherheit seiner schönen flämischen Ehefrau Myriam und ihrer kleinen Tochter Eleonora. Die Spezis wohnten in einer alten, zu einzelnen Wohnungen umgebauten Villa hoch oben auf einem Hügel über der Stadt, inmitten der Landschaft, in der die Bestie auf Jagd ging. Die Beschäftigung mit den Mordfällen warf in Spezi quälende Fragen über Gut und Böse, Gott und die menschliche Natur auf.
Myriam drängte ihren Mann dazu, Hilfe zu suchen, und schließlich gab er nach. Statt aber zu einem Psychiater zu gehen, wandte Spezi, der ein gläubiger Katholik war, sich an einen Mönch, der in seiner Zelle in einem halb verfallenen Franziskanerkloster eine psychologische Praxis führte. Bruder Galileo Babbini war klein und trug eine Brille mit dicken Gläsern, die seine durchdringenden schwarzen Augen stark vergrößerte. Er fror ständig, auch im Sommer, und trug unter seiner braunen Mönchskutte stets einen schäbigen Daunenmantel. Er schien schnurstracks dem Mittelalter entstiegen, und doch war er ein hervorragend ausgebildeter Psychoanalytiker mit einem Doktortitel von der Universität Florenz.
Bruder Galileo verband die Psychoanalyse mit dem mystischen Christentum, um Menschen bei der Überwindung von zerstörerischen Traumata zu helfen. Seine Methoden waren nicht eben sanft, und er war unerbittlich in seiner Suche nach der Wahrheit. Er besaß eine beinahe übernatürliche Einsicht in die dunkle Seite der menschlichen Seele. Spezi sollte ihn über die gesamte Dauer des Bestien-Falls hinweg aufsuchen, und er erzählte mir, dass Bruder Galileo ihm den Verstand, wenn nicht sogar das Leben gerettet hatte.
In der Nacht des Mordes auf dem Campo delle Bartoline kam einem Pärchen, das in der Gegend herumfuhr, ein roter Alfa Romeo entgegen, an einer engen Stelle auf der schmalen, zu beiden Seiten von Mauern
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