Die Bestie von Florenz
grässliche Gegenstände aus dem Schloss zu entfernen, ehe die Polizei sie fand.
Die Gerüchte wucherten weiter, selbst nachdem der Mörder des Fürsten vier Tage später verhaftet wurde – und die Tat gestand. Er war ein noch recht junger Wilderer, der auf dem Anwesen Fasane gejagt hatte. Der Fürst hatte ihn entdeckt, als er gerade einen Vogel erlegt hatte, und ihn verfolgt. Der Wilderer sagte aus, er habe dem Fürsten in die Beine schießen wollen, um entkommen zu können, aber Corsini habe die Waffe auf sich gerichtet gesehen, sich geduckt und so die volle Ladung ins Gesicht bekommen.
Absurd, erklärte die öffentliche Meinung. Niemand tötet einen Mann wegen einer solchen Kleinigkeit. Die Geschichte konnte unmöglich wahr sein – im Gegenteil, sie war ein weiterer Beweis dafür, dass die Familie Corsini alles Mögliche vertuschte. Außerdem erklärte die Wilderer-Geschichte nicht den geheimnisvollen Einbruch ins Schloss zwei Tage nach dem Schuss auf den Fürsten.
Von den Salons der Florentiner Aristokratie bis hin zum Tratsch in den trattorie der Arbeiterviertel machte eine komplizierte Theorie – die wahre Geschichte – die Runde. Fürst Roberto Corsini war die Bestie von Florenz. Seine Familie war dahintergekommen und hatte alles getan, um ihn zu decken. Doch jemand anderes – niemand wusste, wer – hatte das schreckliche Geheimnis ebenfalls entdeckt. Statt sich an die Polizei zu wenden, hatte diese Person geschwiegen, den Adligen erpresst und immer wieder große Summen dafür gefordert, das Geheimnis für sich zu behalten. An diesem Sonntag, den 19. August, zwanzig Tage nach dem Doppelmord von Vicchio, hatten die beiden sich bei dem Bach verabredet und waren in Streit geraten. Es hatte einen furchtbaren Kampf gegeben, und der Erpresser hatte den Fürsten erschossen.
Es gab, so wurde behauptet, noch eine Person, die wusste, dass der Fürst die Bestie war. Die Erpressung ging weiter, und diesmal war das Opfer die Familie. Doch damit diese auch wirklich zahlte, brauchten die Erpresser Beweise dafür, dass Fürst Roberto die Bestie gewesen war; grausige Beweise, die tief im Herzen des Schlosses versteckt waren. Das erklärte den Einbruch: Die Diebe mussten Beweise beschaffen, wahrscheinlich die Beretta, vielleicht auch weitere Winchester-Geschosse der Serie H und, wer weiß, womöglich sogar die Trophäen, die die Bestie ihren Opfern herausgeschnitten hatte.
Dieses Gerücht, eine Frucht der verdrehten Phantasie der Florentiner, war vollkommen falsch, offensichtlich unglaubwürdig und wurde durch nichts gestützt, was Presse oder Ermittler je veröffentlicht hatten. Dieser Phantasievorstellung gab man sich ein Jahr lang hin, bis die Wirklichkeit sie so entschieden wie nur möglich platzen ließ: durch einen weiteren Mord.
Kapitel 17
Ende des Jahres 1984 war der Fall der Bestie von Florenz zu einem der präsentesten und meistdiskutierten Kriminalfälle in ganz Europa geworden. Ein französischer Intellektueller namens Jean-Pierre Angremy, Mitglied der Académie française, der in jenen Jahren französischer Konsul in Florenz war, fand die Geschichte faszinierend und veröffentlichte darüber einen Roman mit dem Titel Une Ville Immortelle . Die italienische Schriftstellerin Laura Grimaldi schrieb einen gefeierten Roman über den Fall, Das Monster von Florenz . Magdalen Nabb, die englische Krimiautorin, schrieb ebenfalls ein Buch darüber, Das Ungeheuer von Florenz . Dies war der Beginn einer Welle literarischer Bearbeitung des Falls, die zahlreiche Sachbücher und Romane hervorbrachte. Er erregte sogar die Aufmerksamkeit von Thomas Harris, der die Geschichte der Bestie in seinem Roman Hannibal verwendete, der Fortsetzung von Das Schweigen der Lämmer . (In Hannibal ist Hannibal Lecter nach Florenz gezogen, wo er unter dem Pseudonym »Dr. Fell« lebt. Er arbeitet als Kurator des Archivs und der Bibliothek im Palast der Familie Capponi; diese Stelle hat er zuvor selbst freigemacht, indem er seinen Vorgänger ermordete.) Der größte Verlag Japans bat Spezi, ein Buch über die Bestie zu schreiben, was er auch tat. (Es ist inzwischen zum sechsten Mal neu aufgelegt worden.) Über ein Dutzend Bücher sind über den Bestien-Fall erschienen – und ein grässlicher Comic mit dem Titel Il Monello (Der Strolch), offenbar für Jungen im Teenager-Alter, der für einen Aufschrei sorgte. Der Autor hatte klugerweise darauf verzichtet, seinen Namen darunterzusetzen.
Natürlich wurden auch Filme über den Fall gedreht,
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