Die Bestie von Florenz
Geschichten, die er auf seinen Reisen sammelte. Manche waren urkomisch, anzüglich oder schräg, andere hingegen tragische Balladen um Eifersucht und Mord, unerfüllte Liebe und wüste Blutfehden.
Fezzi komponierte ein Lied über den Mord im Wäldchen von Tassinaia, das er überall in der nördlichen Toskana vortrug:
Ich sing euch von einer großen Tragödie,
Die sich in Vicchio im Mugello ereignet hat,
Auf dem Iaccia-Hof, der zu Paterno gehört,
Da wohnte ein junger Mann, brutal und grausam.
Bleibt und lauscht, und euch werden Tränen fließen.
Pier Pacciani war sechsundzwanzig Jahre alt,
Ach, hört die Geschichte, die ich zu erzählen habe,
denn sie wird euch das Blut gefrieren lassen …
Perugini betrachtete es als sehr aussagekräftigen Beweis, dass Pacciani, der die beiden Liebenden vom Gebüsch aus beobachtet hatte, den Ermittlern sagte, er sei in rasende Wut verfallen, als er sah, wie seine Freundin die linke Brust für ihren Verführer entblößte – in diesem Augenblick sei er ausgerastet. Diese Einzelheit erinnerte Perugini an die beiden letzten weiblichen Opfer, denen die linke Brust abgeschnitten worden war. Der Anblick der entblößten linken Brust, so argumentierte Perugini, hatte Paccianis mörderische Raserei zum allerersten Mal ausgelöst; dieses Ereignis war in seinem Unterbewusstsein haften geblieben und Jahre später immer wieder zum Vorschein gekommen, wenn sich die gleichen Umstände einstellten – wenn er zwei junge Leute sah, die sich in einem Auto liebten.
Andere wiesen darauf hin, dass die linke Brust einfach nur diejenige war, nach der ein rechtshändiger Mörder als Erstes greifen würde – und dass die Bestie Rechtshänder war, war bekannt. Doch für Peruginis Geschmack war das eine viel zu simple Erklärung.
Perugini verwarf die früheren Rekonstruktionen der Bestien-Morde, die gegen Pacciani als Mörder sprachen. Zum Beispiel war es sehr schwierig, einen dicken, kleinen, unbeweglichen Alkoholiker von einem alten Bauern, nicht einmal eins sechzig groß, mit dem Tatort in Giogoli in Übereinstimmung zu bringen, an dem der Mörder einen gezielten Schuss durch ein Autofenster abgegeben hatte, das sich einen Meter fünfundsiebzig hoch über dem Boden befand. Es war sogar noch schwieriger, sich diesen tatterigen Bauern am Schauplatz des jüngsten Verbrechens auf der Scopeti-Lichtung vorzustellen, wo der Mörder einen fünfundzwanzigjährigen Amateur-Champion im 100-Meter-Lauf eingeholt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Pacciani sechzig Jahre alt, hatte bereits einen Herzinfarkt erlitten und eine Bypass-Operation hinter sich. Seine Krankenakte listete außerdem eine Wirbelsäulenverkrümmung, ein schlimmes Knie, Angina Pectoris, ein Lungenemphysem, chronische Ohrenentzündungen, mehrere Bandscheibenvorfälle, Spondylarthrose, Bluthochdruck, Diabetes, Polypen und eine Geschwulst in der Niere auf – unter anderem.
Zu den weiteren belastenden »Beweisen«, die Perugini und seine Mannschaft aus Paccianis Haus holten, gehörten eine Patrone aus einem Jagdgewehr, zwei Granathülsen aus dem Zweiten Weltkrieg (eine davon diente als Blumenvase), ein Foto von Pacciani als jungem Mann, wie er mit einer Maschinenpistole posierte, fünf Messer, eine Postkarte, die in Calenzano abgeschickt worden war, ein Schulheft mit der groben Zeichnung einer nicht identifizierbaren Straße auf der ersten Seite und ein Stapel Pornohefte. Außerdem befragte Perugini eine ganze Reihe von Zeugen, die Pacciani als brutalen Menschen beschrieben, als Wilderer, als einen Mann, der auf Dorffesten die Hände nicht bei sich behalten konnte und alle Frauen gegen sich aufbrachte.
Doch das Kronjuwel der in Paccianis Haus gefundenen Beweise war ein verstörendes Gemälde. Es zeigte einen großen, offenen Kubus, in dem sich ein dämonisches Wesen befand. Die menschliche Hälfte der Chimäre war als General mit einem Totenschädel anstelle eines Kopfs dargestellt, einen Säbel in der rechten Hand. Der tierische Teil war ein Bulle, dessen Hörner eine Lyra bildeten. Dieses seltsame Wesen hatte sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane und riesige Clownsfüße. Auf dem Bild waren auch Mumien, die wie Polizisten aussahen; eine von ihnen machte eine obszöne Geste. Eine drohende Schlange, die sich in einer Ecke zusammengeringelt hatte, trug einen Hut. Und im Vordergrund das Wichtigste: sieben kleine Kreuze, die im Boden steckten, umgeben von Blumen.
Sieben Kreuze. Sieben Verbrechen der Bestie.
Das Gemälde war mit
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