Die Bestie von Florenz
überwachte, weil man fürchtete, der leicht erregbare Bauer könnte während der Durchsuchung einen Herzinfarkt erleiden. Man holte einen Experten für »diagnostische Architektur«, der an einer scheinbar soliden, tragenden Wand die Stellen ausfindig machen konnte, wo man beispielsweise eine Höhlung verstecken könnte.
Um vier Minuten vor sechs am Abend des 29. April, als die erschöpfte Polizei »unter einem Himmel, der Regen androhte« entschied, die Durchsuchung abzubrechen, fand sich doch etwas. Ruggero Perugini würde später in seinem Buch Un uomo abbastanza normale (»Eigentlich ein ganz normaler Mann« – das Buch, auf dessen Cover die Botticelli-Nymphe Blut erbricht) diesen triumphalen Augenblick schildern. »Im Licht des späten Nachmittags erhaschte ich einen kaum wahrnehmbaren Schimmer in der Erde«, schrieb der Hauptkommissar.
Es war eine Winchester-Patrone Serie H, vollständig mit Rost bedeckt. Sie war nicht abgefeuert worden, deshalb konnte sich am Boden auch nicht die Schlagbolzen-Markierung finden, die so typisch für die Waffe der Bestie war. Allerdings trug sie Spuren, die darauf hinwiesen, dass sie einmal in eine Waffe geladen worden war. Die Patrone wurde von Ballistik-Experten untersucht, die zu dem Ergebnis kamen, dass diese Spuren »nicht inkompatibel« mit der Waffe der Bestie seien. Sie waren nicht bereit, sich über »nicht inkompatibel« hinaus festzulegen, obwohl man sie (wie sich einer der Experten später beklagte) stark unter Druck gesetzt hatte.
Aber das genügte. Pacciani wurde am 16. Januar 1993 festgenommen und beschuldigt, die Bestie von Florenz zu sein.
Kapitel 25
Der Prozess gegen Pietro Pacciani begann am 14. April 1994. Der Gerichtssaal quoll schier über vor Zuschauern, und die Öffentlichkeit war gespalten, was die Frage nach seiner Schuld anging. Mädchen liefen in T-Shirts mit dem Aufdruck »I ♥ Pacciani« herum. Vor dem Gericht entstand eine regelrechte Karawanserei der Fotografen, Fernsehteams und Journalisten, und mitten in der Pressemeute, geschützt und geführt von Hauptkommissar Ruggero Perugini, befand sich der Schriftsteller Thomas Harris.
Ein solcher Prozess ist ein wahres Theaterstück: eine begrenzte Zeitspanne, ein geschlossener Raum, Vorträge über ein bestimmtes Thema, festgelegte Rollen – der Staatsanwalt, die Verteidiger, die Richter, der Angeklagte. Und kaum ein Prozess hätte mehr einer Theateraufführung gleichen können als der gegen Pacciani. Dieses Melodram wäre Puccinis würdig gewesen.
Der einfache Bauer wiegte sich während der Verhandlung schluchzend vor und zurück und stieß manchmal in seinem antiken toskanischen Dialekt hervor: »Ich bin ein unschuldiges Lamm! Ich bin hierhergekommen wie Jesus ans Kreuz!« Manchmal richtete er sich zu seiner vernachlässigbaren Größe auf, zog ein Herz-Jesu-Bildchen hervor und wedelte damit vor den Richtern herum, während der Vorsitzende mit seinem Hammer lärmte und ihm befahl, sich wieder hinzusetzen. Dann wieder bekam er Wutausbrüche, verfluchte mit glühendem Gesicht und fliegendem Speichel einen Zeugen oder die Bestie selbst. Mit gefalteten Händen und himmelwärts verdrehten Augen rief er Gott an und brüllte: »Lass ihn auf ewig in der Hölle brennen!«
Nach nur vier Verhandlungstagen brachte Spezi die erste große Story. Ein bedeutendes Indiz gegen Pacciani war sein bizarres Gemälde mit dem Chimärenwesen und den sieben Kreuzen, das Psychologen für »kompatibel« mit der psychopathischen Persönlichkeit der Bestie hielten. Das Bild selbst war sorgfältig unter Verschluss gehalten worden, aber Spezi hatte es endlich doch geschafft, über die Staatsanwaltschaft an ein Foto des Gemäldes heranzukommen. Er brauchte nur ein paar Tage, um den tatsächlichen Schöpfer ausfindig zu machen – einen fünfzigjährigen chilenischen Künstler namens Christian Olivares, der während der Pinochet-Diktatur nach Europa ins Exil gegangen war. Olivares war empört, als er erfuhr, dass sein Gemälde als Beweis gegen einen Serienmörder dienen sollte. »Auf diesem Bild«, erzählte er Spezi, »wollte ich das groteske Grauen einer Diktatur darstellen. Es zum Werk eines Psychopathen zu erklären ist lächerlich. Das ist so, als wollte man behaupten, Die Schrecken des Krieges weise darauf hin, dass Goya ein Wahnsinniger sei, ein Ungeheuer, das weggesperrt werden sollte.«
Spezi rief Perugini an. »Morgen«, verkündete er dem Hauptkommissar, »wird meine Zeitung einen Artikel veröffentlichen, in
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