Die Bestie von Florenz
beantragte Giuttari einen Durchsuchungsbeschluss für das Haus des Apothekers. Er erhielt ihn am 17., und am 18. im Morgengrauen klingelten Giuttari und seine Männer an der Tür des Hauses an der Piazza Pierozzi in San Casciano.
Am 19. Januar machte die Geschichte der Bestie von Florenz wieder einmal landesweit Schlagzeilen.
Spezi konnte nur erstaunt den Kopf schütteln. »Es gefällt mir gar nicht, was die Sache für eine Richtung nimmt. Mi fa paura. Das macht mir Angst.«
In Perugia nahm die Untersuchung von Narduccis Tod weiter ihren Lauf. Die Ermittler gelangten zu der Erkenntnis, dass nur eine riesige Verschwörung sehr einflussreicher Leute die Leichen zweimal hätte vertauschen können. Der Oberstaatsanwalt von Perugia, Mignini, war fest entschlossen, dieses Komplott aufzudecken. Und das gelang ihm auch rasch. Wieder einmal widmeten die Zeitungen, sogar der seriöse Corriere della Sera , der Story ganze Seiten. Die Nachricht war in der Tat sensationell: Der Mann, der zum Zeitpunkt von Narduccis Tod Polizeichef von Perugia gewesen war, habe sich angeblich mit einem Offizier der Carabinieri und dem Anwalt der Familie Narducci verschworen, um zu verhindern, dass die wahre Todesursache ans Licht kam. Diese Leute hätten gemeinsame Sache mit dem Vater des toten Arztes, seinem Bruder und dem Arzt gemacht, der den Totenschein ausgestellt hatte. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten sich verschworen, die Behörden getäuscht und verbotenerweise einen Leichnam versteckt.
Abgesehen von der Verschwörung, mit der der Mord an Narducci vertuscht worden war, mussten die Ermittler aber noch beweisen, dass Narducci eine Verbindung zu Pacciani, seinen Picknick-Freunden und dem Dorf Casciano hatte, wo der Mittelpunkt des Satanskults zu liegen schien.
Auch das gelang ihnen. Gabriella Carlizzi machte bei der Polizei eine Anzeige, in der sie behauptete, Francesco Narducci habe sich der Initiation in den Orden der Roten Rose unterzogen, eingeführt von seinem Vater, der versuchte, gewisse sexuelle Probleme seines Sohnes zu heilen. Es handele sich dabei um dieselbe Teufelssekte, erklärte Carlizzi, die seit Jahrhunderten in Florenz und Umgebung aktiv war. Polizei und Staatsanwaltschaft akzeptierten Carlizzis Aussage anscheinend als soliden, prozessfähigen Beweis.
Wie aufs Stichwort brachten Giuttari und seine GIDES-Kommission Zeugen bei, die schworen, gesehen zu haben, dass Francesco Narducci sich in San Casciano herumgetrieben und sich auch mit Calamandrei getroffen hatte. Es dauerte eine Weile, bis die Identität dieser neuen Zeugen durchsickerte. Als Spezi die Namen erfuhr, hielt er das Ganze zunächst für einen schlechten Scherz: Es waren die Algebra-Zeugen Alpha und Gamma, dieselben, die viele Jahre zuvor überraschend in Paccianis Berufungsprozess aufgetaucht waren – Pucci, der geistig behinderte Mann, der gesehen haben wollte, wie Pacciani das französische Pärchen ermordet hatte, und Ghiribelli, die alkoholkranke Prostituierte, die es auch für ein Glas Wein machte. Und dann erschien ein dritter Zeuge wie aus dem Nichts – kein anderer als Lorenzo Nesi! Das war der brave Mann, der sich praktischerweise daran erinnert hatte, Pacciani und einen Begleiter in einem »rötlichen« Auto einen Kilometer von der Scopeti-Lichtung entfernt gesehen zu haben, und zwar am Sonntagabend, dem angeblichen Zeitpunkt des Mordes an den französischen Touristen.
Diese drei Zeugen hatten weltbewegende neue Informationen mitzuteilen, die zu erwähnen sie allesamt vergessen hatten, als sie Italien acht Jahre zuvor mit ihren ersten erstaunlichen Zeugenaussagen schockiert hatten.
Ghiribelli behauptete, dass der »Doktor aus Perugia«, dessen Namen sie nicht kannte, den sie aber auf einem Foto von Narducci wiedererkannte, fast jedes Wochenende nach San Casciano gekommen war. Wie hatte sie das nur vergessen können? Stolz erzählte sie den Ermittlern, dass sie vier- oder fünfmal in einem Hotel mit ihm geschlafen hatte, »und für jede Nummer hat er mir dreihunderttausend Lire gegeben«.
Im Büro der GIDES zeigten sie dem geistig behinderten Pucci Fotos von diversen Leuten und fragten ihn, ob er sie schon je zuvor gesehen hatte, und wo. Puccis Erinnerung war phänomenal, kristallklar, selbst wenn die Begegnung zwanzig Jahre zurücklag und obwohl er ihre Namen nicht kannte. Er erkannte Francesco Narducci, »groß und dünn, ein bisschen schwul«. Er erkannte Gianni Spagnoli, den Schwager des ertrunkenen Arztes. Er erkannte einen der
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