Die Bestie
Jahren – das war 1956 ... Buchhalter mit neunzehn, dann Oberbuchhalter, und schließlich Geschäftsführer. Als es mit dem Vietnam-Krieg Ernst wurde, hatte er sich beurlauben lassen. 1968 wieder an seinen Schreibtisch zurückgekehrt, hatte er bis zum heutigen Tag hart gearbeitet. Die Zeit war vorübergeweht, wie ein steter Nordwind.
Und nun war es schon 1975. Hm-m, sechzehn Jahre bei derselben Firma, die Kriegsjahre nicht mitgerechnet; sieben Jahre als Geschäftsführer. Das machte ihn in diesem Jahr genau fünfunddreißig Jahre alt.
Er runzelte die Stirn, mit einemmal irritiert. Was in der Welt konnte Nypers bewogen haben, das zu sagen, was er gesagt hatte? »In den zwei Jahren, seit denen Sie bei uns sind ...« Die Worte flochten sich in seinem Kopf zu einem Muster. Die Handlung, die er schließlich ausführte, war halbautomatisch. Er drückte auf einen Knopf auf dem Schreibtisch.
Die Tür ging auf und eine hagere, bleichgesichtige Frau von fünfunddreißig kam herein.
»Sie haben geläutet, Mr. Pendrake?«
Pendrake zögerte. Er begann, sich etwas albern vorzukommen und sich über seine eigenartige Erregung zu wundern. »Miß Pearson«, sagte er endlich, »wie lange sind Sie schon bei der Nesbitt-Gesellschaft?«
Die Frau sah ihn mit scharfem Blick an, und Pendrake dachte zu spät daran, daß ein Arbeitgeber in diesen Tagen der aggressiven Frauen-Emanzipation besser daran tat, einer weiblichen Angestellten nicht Fragen zu stellen, die mit dem Geschäft nicht viel zu tun hatten.
Nach einem Moment verloren Miß Pearsons Augen ihren harten, feindseligen Glanz, und Pendrake atmete freier. »Fünf Jahre«, entgegnete sie kurz.
»Wer«, zwang sich Pendrake fortzufahren, »hat Sie damals eingestellt?«
Miß Pearson zuckte die Achseln, doch mußte sich die Geste auf etwas in ihren eigenen Gedanken beziehen. Ihre Stimme klang normal, als sie sagte: »Nun, der damalige Geschäftsführer, Mr. Letstone.«
»Oh«, meinte Pendrake.
Er hätte fast mit der Feststellung gekontert, daß er in den letzten fünf Jahren Hauptgeschäftsführer gewesen war. Er tat es jedoch nicht – hauptsächlich deshalb, weil sich die Gedankenkette hinter den Worten im Nebelhaften verlor. Die Idee, die ihm schließlich kam, war logisch und ungetrübt. Er sprach sie mit ruhiger Stimme aus. »Bringen Sie mir bitte das Personalbuch von 1973.«
Sie brachte ihm das Buch und legte es auf den Tisch. Als sie gegangen war, öffnete Pendrake den Band unter GEHÄLTER für den Monat Dezember. Und da stand es: »James Pendrake, Hauptgeschäftsführer, 3250.«
Der November verzeichnete die gleiche Geschichte. Ungeduldig blätterte er bis zum Januar zurück. Hier hieß es:
»Agnes Letstone, Hauptgeschäftsführer, 2200.«
Eine Erklärung für das niedrigere Gehalt war nicht beigefügt. Die Monate Februar bis August hatten alle »Angus Letstone, Hauptgeschäftsführer, 2200.«
Zwei Jahre! »In den zwei Jahren, seit denen Sie bei und sind ...«
Der Winthrop-Vertrag lag ungelesen auf dem großen Eichentisch, als Pendrake aufstand, durch den Raum ging und aus den weiten Glasfenstern hinausblickte. Eine breite Avenue erstreckte sich unter ihm, ein von Bäumen eingefaßter Boulevard mit zahlreichen Steingebäuden. Viel Geld war in diese Straße geflossen ... und in diesen Raum. Er überlegte, wie oft er von sich selber schon als von einem jener glücklichen Männer am unteren Ende der Großeinkommens-Klasse gedacht hatte – ein Mann, der nach Jahren mühseligen Schuftens die höchste Position in dieser Gesellschaft erlangt hatte.
Reumütig schüttelte Pendrake den Kopf. Die Jahre mühseligen Schuftens hatten nicht stattgefunden. Die Frage mußte deshalb lauten: Wie hatte er es zu seiner jetzigen ausgezeichneten Stellung gebracht? Das Leben war freundlich und ungetrübt gewesen – ein geruhsames Idyll, ein klar verständliches Gebilde glücklichen Lebens.
Und jetzt dies!
Wie konnte ein Mann ausfindig machen, was er während der ersten dreißig Jahre seines Lebens getan hatte? Es gab ein paar einfache Tatsachen, die er nachprüfen konnte, bevor er etwas unternahm. In plötzlicher Entschlossenheit kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück, nahm das Mikrophon eines Diktiergeräts zur Hand und begann:
»Urkundenabteilung, Verteidigungsministerium, Washington, D.C. ... Sehr geehrter Herr! Bitte senden Sie mir möglichst umgehend Kopien meiner Personalakten aus dem Vietnam-Krieg. Ich war in der ...«
Er beschrieb die Tatsachen im Detail, und sein
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