Die Bestie
Präsident der Vereinigten Staaten.
6
Seine Wut verrauchte fast augenblicklich, als Pendrake den großen Mann ansah. Er gewahrte, daß die Frauen, die ihn bis hierher eskortiert hatten, nun den Raum verließen. Ihr Verschwinden unterstrich das Eigenartige dieses Zwangsinterviews.
Er bemerkte, daß ihn der Mann prüfend betrachtete. Abgesehen von den grauen Augen, die wie aschfarbene Perlen glühten, entsprach Präsident Dayles' Aussehen genau seinem publizierten Alter von neunundfünfzig Jahren. Auf Zeitungsfotos sah sein Gesicht jugendlicher und faltenloser aus. Doch wenn man ihn, wie jetzt, aus der Nähe sah, war es offensichtlich, daß die Anstrengungen der zweiten Wahlkampagne seiner Lebenskraft ihren Tribut abverlangten.
Nichtsdestoweniger strahlte das Antlitz des Präsidenten Stärke und Autorität aus. Seine Stimme, die sich jetzt vernehmen ließ, enthielt die nachhallende Kraft, die an seinem großen Erfolg so viel Anteil gehabt hatte. Mit der Spur eines spöttischen Lächelns fragte er: »Wie finden Sie meine Amazonen?«
Dann rollte sein homerisches Gelächter durch den Raum. Offenbar erwartete er keine Antwort, denn seine Heiterkeit versiegte abrupt, und er fuhr ohne Pause fort: »Eine außerordentlich merkwürdige Erscheinung, diese Frauen. Wenn man die Drogen einmal eingenommen hat, kann man ihnen nicht mehr entgegenwirken, weil es kein Gegenmittel gibt. Ich betrachte es als Zeugnis für den grundlegenden Trieb der amerikanischen Mädchen zum Abenteuer, daß mehrere tausend von ihnen sich mit dem Mittel haben behandeln lassen. Unglücklicherweise hat es sie in eine Sackgasse gebracht und ihnen jegliche Zukunft geraubt. Ihre Existenz kann durchaus die Ursache dafür gewesen sein, daß die Frauenverbände ihren eigenen Präsidentschaftswahlkampf unternehmen. Überdies mußten die Amazonen als Individuen bald erkennen, daß nur wenige Unternehmen ihnen eine Arbeitsstelle geben wollen, und daß sie kein Mann heiraten würde.
In ihrer Verzweiflung sind ihre Anführer an mich herangetreten. Unmittelbar bevor die Situation ein tragisches Stadium erreichte, wurde ein sorgfältig gesteuerter Propagandafeldzug von mir eingeleitet. Danach nahm ich sie allesamt in meine Dienste, die – wie man allgemein annimmt – völlig legitimen Charakters sind. Tatsächlich jedoch wissen diese Frauen ganz genau, wer ihr Wohltäter ist und betrachten sich selbst als meine persönlichen Agenten und Leibwächter.«
Jefferson Dayles machte eine Pause und fuhr dann verbindlich fort: »Ich hoffe, Mr. Pendrake, damit erklärt sich Ihnen – zumindest einigermaßen – die seltsame Methode, mit der Sie zu mir gebracht wurden. Miß Kay Whitewood« – er wies auf die junge Frau am Tisch – »ist ihre intellektuelle Führerin.«
Pendrake stand reglos wie eine Steinfigur und empfand fast auch die geistige Leere einer solchen. Er hatte dem kurzen Abriß der Geschichte der Amazonen mit dem faszinierenden Gefühl des Unwirklichen zugehört. Denn die Geschichte erklärte ihm nicht das geringste. Was zählte, war nicht die Methode seines Hierherkommens, sondern das Warum.
Er sah, daß die Augen des Präsidenten belustigt zwinkerten. Jefferson Dayles sagte ruhig: »Es besteht die Möglichkeit, daß Sie den Wunsch verspüren werden, den Behörden und den Zeitungen mitteilen zu wollen, was Ihnen widerfahren ist. Kay, zeige Mr. Pendrake die Zeitungsmeldung, die wir für genau diese Eventualität bereithalten.«
Die junge Frau erhob sich aus ihrem Schreibtischsessel und kam auf Pendrake zu. Stehend sah sie älter aus. Sie hatte blaue Augen und ein hartgeschnittenes, hübsches Gesicht. Pendrake nahm aus ihrer Hand ein Blatt entgegen. Er las:
Ein bedauerlicher Zwischenfall störte heute die Autofahrt Präsident Jefferson Dayles' von Middle City. Ein junger Mann in einem elektrischen Auto erweckte den Anschein, den Wagen des Präsidenten rammen zu wollen, was zum sofortigen Einschreiten der Leibwache führte. Der junge Mann wurde in Haft genommen und später zum Verhör in die Hotelgemächer des Präsidenten gebracht. Seine Erklärungen wurden als zufriedenstellend erachtet, und es wurde auf Präsident Dayles' Anordnung hin keine Anklage erhoben. Der junge Mann wurde auf freien Fuß gesetzt.
Nach einem Moment des Schweigens gestattete sich Pendrake ein kurzes Auflachen. Die gefälschte Zeitungsmeldung war endgültig. Er konnte sich ebensowenig auf ein Presseduell mit Jefferson Dayles einlassen, wie er auf der Hauptstraße
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