Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
erfüllen kann, bitte ich alle, sich im Saal der Gemeinschaft einzufinden und anzugeben, ob euch eine Nadel injiziert wurde oder nicht«, fährt er fort. » Außerdem fordern die Ken die Auslieferung aller Unbestimmten. Ich weiß nicht, wozu.«
Er klingt teilnahmslos. Besiegt. Er ist ja auch besiegt, denke ich. Weil er zu schwach ist, um sich zu wehren.
Immerhin haben wir Ferox den Candor etwas voraus, wir kämpfen immer weiter, selbst wenn alles längst verloren scheint.
Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich alle Lektionen, die ich von den einzelnen Fraktionen lernen kann, aufsaugen und in meinem Gehirn abspeichern, als einen Wegweiser, mit dem ich mich dann durch die Welt schlage. Man kann immer etwas dazulernen, es gibt immer etwas, das man noch verstehen muss.
Die Ansage von Jack Kang endet mit denselben drei Signaltönen, mit denen sie auch angefangen hat. Die Ferox rennen kreuz und quer durch den Raum und werfen hastig Sachen in ihre Taschen. Ein paar junge Männer reißen das Tuch von der Tür und schreien etwas von Eric. Jemand drückt mich mit seinem Ellbogen gegen die Wand, und ich stehe einfach nur da und sehe zu, wie das Chaos explodiert.
Es gibt auch Dinge, die die Candor den Ferox voraushaben. Zum Beispiel wissen sie, ganz im Gegensatz zu uns, wie man sich selbst im Zaum halten kann.
Die Ferox stehen im Halbkreis um den Stuhl herum, auf dem Tobias und ich bei unserer Vernehmung saßen. Jetzt sitzt Eric dort. Er wirkt mehr tot als lebendig, wie er zusammengesunken dahockt. Schweißtröpfchen schimmern auf seiner blassen Stirn. Er fixiert Tobias mit gesenktem Kopf, sodass seine Wimpern seine Augenbrauen berühren. Ich will ihn anschauen, aber sein Grinsen– die Art, wie sich die Löcher seiner Piercings ausdehnen, wenn er die Lippen öffnet– ist beinahe unerträglich.
» Soll ich dir deine Verbrechen aufzählen?«, fragt Tori. » Oder möchtest du das lieber selbst übernehmen?«
Der Regen prasselt schräg gegen die Außenwand und rinnt an den Mauern hinab. Wir stehen im Befragungsraum, im obersten Geschoss des Gebäudes. Der Sturm, der schon am Nachmittag aufgezogen ist, heult hier noch lauter. Bei jedem Donnerschlag und jedem Zucken der Blitze stellen sich mir die Nackenhaare auf; es ist, als würde die Elektrizität über meine Haut tanzen.
Ich mag den Geruch des nassen Asphalts. Hier oben ist er nur schwach, aber wenn das hier vorüber ist, werden alle Ferox die Treppen hinunter ins Freie stürmen, um das Hauptquartier der Candor endlich hinter sich zu lassen. Dann wird der nasse Asphalt unter mir das Einzige sein, was ich noch wahrnehme.
Wir haben unsere Rucksäcke dabei. Meiner besteht aus einem Betttuch, das von einem Strick zusammengehalten wird. In diesem Beutel habe ich meine Kleider und ein Paar Ersatzschuhe. Ich trage die Jacke, die ich der Ferox-Abtrünnigen abgenommen habe– ich will, dass Eric sie sieht, wenn er mich anschaut.
Eric lässt seinen Blick über die Menge schweifen, dann bleiben seine Augen an mir hängen. Er verschränkt seine Finger und legt sie– langsam und vorsichtig– auf seinen Bauch. » Ich möchte, dass sie sie aufzählt. Da sie auf mich eingestochen hat, muss sie wohl Bescheid wissen.«
Ich weiß nicht, welches Spielchen er treibt oder warum er mich jetzt noch aus der Fassung bringen will, ausgerechnet jetzt, kurz vor seiner Hinrichtung. Auf den ersten Blick wirkt er arrogant und gelassen, aber mir ist nicht entgangen, dass seine Finger zittern. Sogar Eric hat Angst vor dem Tod.
» Lass sie aus dem Spiel«, sagt Tobias.
» Wieso? Nur weil du mit ihr rummachst?«, fragt Eric höhnisch. » Ach nein, warte, Stiffs würden so was ja nie tun. Sie binden sich höchstens gegenseitig die Schnürsenkel und schneiden sich die Haare.«
Tobias’ Miene bleibt unbewegt. Ich verstehe jetzt, worum es geht, ich bin Eric eigentlich ziemlich egal, aber er weiß genau, wo und wie hart er Tobias treffen kann. Und wenn er auf mich losgeht statt auf ihn, dann setzt er Tobias besonders schwer zu.
Das wollte ich immer verhindern, dass meine eigenen Höhen und Tiefen, die ich erlebe, auch zu den Höhen und Tiefen in Tobias’ Leben werden. Daher kann ich es nicht zulassen, dass er mich in Schutz nimmt.
» Ich möchte, dass sie meine Vergehen aufzählt«, wiederholt Eric.
» Du hast mit den Ken unter einer Decke gesteckt und eine Verschwörung gegen uns angezettelt. Du bist für den Tod von mehreren Hundert Altruan verantwortlich«, sage ich so ruhig wie möglich.
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