Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
leise. » Ist es dein Vater? Taucht er in allen deinen Angstlandschaften auf?«
Ohne aufzublicken, schiebt Tobias die Kugel in eine leere Kammer.
» Passt dir diese Frage etwa nicht?«, fragt Eric. » Was denn? Hast du Angst, dass die Ferox ihre Meinung über dich ändern werden? Dass sie merken, dass du ein elender Feigling bist, auch wenn du nur vier Ängste hast?«
Er richtet sich auf und legt die Hände auf die Armlehnen.
Tobias hebt die Pistole auf Höhe seiner linken Schulter.
» Eric«, sagt er. » Sei tapfer.«
Dann drückt er den Abzug.
Ich schließe die Augen.
24. Kapitel
Blut hat eine merkwürdige Farbe. Es ist dunkler, als man es sich vorstellt.
Ich betrachte Marlenes Hand, die meinen Arm umklammert. Ihre Fingernägel sind kurz und ausgefranst– sie kaut darauf herum. Sie schiebt mich vorwärts und ich gehe anscheinend, denn ich spüre, dass ich gehe, aber in meinen Gedanken stehe ich immer noch vor Eric und er lebt noch.
Er ist gestorben wie Will. Er ist zusammengesackt wie Will.
Ich dachte, dass der Klumpen in meiner Kehle verschwinden würde, wenn Eric erst einmal tot wäre, aber das tut er nicht. Ich muss tief und schwer atmen, um genügend Luft zu bekommen. Zum Glück machen die Menschen um mich herum so viel Lärm, dass sie mich nicht hören können. Wir gehen zum Ausgang, an der Spitze des Pulks marschiert Harrison, der Tori wie ein Kind huckepack trägt. Sie hat die Arme um seinen Hals geschlungen und lacht.
Tobias legt mir die Hand auf den Rücken. Ich weiß es– denn ich sehe es, wie er hinter mir her läuft–, aber ich fühle es nicht. Ich fühle gar nichts.
Die Türen öffnen sich von außen. Wir bleiben vor dem panisch herbeirennenden Jack Kang und einer Schar seiner Candor stehen.
» Was habt ihr getan?«, fragt er. » Man hat mir soeben berichtet, dass Eric nicht mehr in seiner Gefängniszelle ist.«
» Er unterstand unserer Rechtsprechung«, antwortet Tori. » Wir haben ein Gerichtsverfahren gegen ihn eröffnet und ihn verurteilt. Du solltest uns dankbar sein.«
» Warum…« Jacks Gesicht läuft rot an. Blut ist noch dunkler als das Erröten, obwohl das eine ohne das andere nicht möglich ist. » Weshalb sollte ich euch dankbar sein?«
» Weil ihr wolltet, dass er hingerichtet wird. Er hat eines von euren Kindern ermordet, nicht wahr?« Tori legt den Kopf schief, ihre großen Augen blicken unschuldig. » Jetzt haben wir das für euch erledigt. Und nun entschuldigt uns bitte. Wir gehen.«
» Wie– ihr geht?«, stottert Jack.
Wenn wir gehen, wird er zwei von den drei Forderungen nicht erfüllen können, die Max an ihn gestellt hat. Der Gedanke ängstigt ihn und das sieht man ihm an.
» Das kann ich nicht zulassen«, sagt er.
» Du kannst auch sonst nichts«, sagt Tobias. » Wenn du nicht aus dem Weg trittst, sind wir gezwungen, dich niederzutrampeln statt an dir vorbeizugehen.«
» Seid ihr nicht hierhergekommen, um Verbündete zu suchen?«, fragt Jack böse. » Wenn ihr geht, dann werden wir uns mit den Ken verbinden, das schwöre ich euch, und dann werden wir nie wieder Verbündete sein.«
» Wir brauchen euch nicht als Verbündete«, sagt Tori. » Wir sind Ferox.«
Alle schreien und irgendwie zerreißen ihre Schreie den Schleier vor meinen Gedanken. Plötzlich drängt die ganze Menge vorwärts. Die Candor auf dem Gang fangen an zu kreischen und weichen aus, als wir uns– ein einziger Strom von Ferox– wie aus einer geplatzten Wasserleitung in den leeren Raum ergießen.
Marlene lässt meinen Arm los. Ich renne die Treppe hinunter, bleibe den Ferox, die vor mir her laufen, dicht auf den Fersen, störe mich nicht an den Ellbogenstößen und dem Geschrei um mich herum. Ich komme mir vor, als wäre ich wieder eine Initiantin, die nach der Zeremonie der Bestimmung die Treppen im Zentralbau hinunterrast. Meine Beine tun weh, aber das macht mir nichts aus.
Wir kommen in die Eingangshalle. Hier warten einige Candor und Ken, unter ihnen die blonde Frau, die sie an den Haaren zu den Aufzügen gezerrt haben, das Mädchen, dem ich zur Flucht verholfen habe, und Cara. Sie sehen hilflos zu, wie der Strom der Ferox sich an ihnen vorbeiwälzt.
Cara packt mich am Arm und hält mich zurück. » Wohin geht ihr alle?«
» Zum Hauptquartier der Ferox.« Ich will mich ihrem Griff entziehen, aber sie lässt nicht los. Ich sehe ihr nicht ins Gesicht. Ich kann jetzt nicht.
» Geh zu den Amite«, sage ich zu ihr. » Sie haben jedem, der sie darum bittet, Zuflucht versprochen.
Weitere Kostenlose Bücher