Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
gibst dann endlich Ruhe?«
Uriah ist wie vom Donner gerührt, aber Marlene wirft Lynn einen kurzen Blick zu, dann beugt sie sich zu Uriah, küsst ihn voll auf den Mund und lässt dabei die Finger unter den Kragen seines Shirts gleiten. Meine Erbsen fallen auf halbem Weg zum Mund von der Gabel.
Lynn schnappt sich ihr Tablett und stampft davon.
» Was war das denn?«, fragte Zeke.
» Frag mich nicht«, erwidert Hector. » Sie ist andauernd auf irgendetwas wütend. Ich habe es aufgegeben, da den Überblick zu behalten.«
Uriahs und Marlenes Gesichter sind immer noch dicht beieinander. Und sie lächeln immer noch um die Wette.
Ich zwinge mich, auf meinen Teller zu schauen. Es ist jedes Mal merkwürdig, wenn man mitbekommt, wie zwei Menschen plötzlich etwas miteinander anfangen, die man unabhängig voneinander kennengelernt hat. Ich höre das Quietschen einer Gabel; Christina stochert wahllos auf ihrem Teller herum.
» Four!«, ruft Zeke erleichtert und winkt. » Komm, hier ist Platz.«
Tobias legt seine Hand auf meine gesunde Schulter. Seine Knöchel sind aufgerissen, die Abschürfungen sind ganz frisch. » Tut mir leid, ich kann nicht hierbleiben.«
Er beugt sich zu mir. » Kann ich dich für einen Moment entführen?«
Ich stehe auf, winke allen am Tisch zu, die uns ansehen– tatsächlich ist es nur Zeke, denn Christina und Hector starren auf ihre Teller und Marlene und Uriah unterhalten sich leise.
Tobias und ich verlassen die Cafeteria.
» Wohin gehen wir?«
» Zum Zug«, antwortet er. » Ich habe ein Treffen, und ich möchte, dass du dabei bist, um die Situation einzuschätzen.«
Wir schlagen den Weg ein, der aus der Grube nach oben führt zu der Treppe in den gläsernen Turm.
» Weshalb brauchst du ausgerechnet mich?«
» Weil du das besser kannst als ich.«
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Wir steigen die Treppe hinauf und gehen über den Glasfußboden. Auf unserem Weg nach draußen kommen wir durch den nasskalten Raum, in dem ich mit meiner Angstlandschaft konfrontiert worden bin. Der Spritze nach zu urteilen, die auf dem Boden liegt, ist erst kürzlich jemand hier gewesen.
» Warst du heute in deiner Angstlandschaft?«, frage ich.
» Was bringt dich auf diese Idee?« Ein Blick aus dunklen Augen streift mich und Tobias drückt die Tür nach draußen auf. Sommerliche Luft umgibt uns. Kein Wind regt sich.
» Deine Knöchel sind zerkratzt und jemand war vor Kurzem in diesem Raum.«
» Genau das meine ich. Du bist viel aufmerksamer als alle anderen.« Er sieht auf die Uhr. » Sie haben gesagt, ich soll den Zug um 20.05 Uhr nehmen. Komm.«
In mir regt sich Hoffnung. Vielleicht werden wir diesmal nicht streiten. Vielleicht renkt sich alles wieder ein zwischen uns beiden.
Wir gehen auf die Gleise zu. Beim letzten Mal wollte er mir zeigen, dass die Lichter bei den Ken noch brennen, er wollte mir sagen, dass die Ken einen Angriff auf die Altruan planen. Jetzt, so vermute ich, werden wir uns mit den Fraktionslosen treffen.
» Ich bin jedenfalls aufmerksam genug, um mitzubekommen, dass du meiner Frage ausgewichen bist«, sage ich.
Er seufzt. » Ja, ich bin durch meine Angstlandschaft gegangen. Ich wollte wissen, ob sie sich verändert hat.«
» Und sie hat sich verändert, stimmt’s?«
Er streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und weicht meinem Blick aus. Ich merke erst jetzt, wie kräftig sein Haar ist– als es noch kurz geschnitten war, ist das gar nicht aufgefallen. Früher hatte er einen Altruan-Haarschnitt, aber jetzt sind seine Haare mehr als fünf Zentimeter lang und fallen ihm fast in die Stirn. So sieht er weniger bedrohlich aus, mehr wie der Mensch, der mir inzwischen so vertraut ist.
» Ja«, sagt er, » aber die Anzahl der Ängste ist gleich geblieben.«
Von links höre ich die Zugsirene, aber die vorderen Lichter sind nicht eingeschaltet. Der Zug kriecht über die Gleise wie eine unheimliche, im Verborgenen lebende Kreatur.
» Fünfter Wagen von hinten!«, ruft Tobias.
Wir rennen gleichzeitig los. Am fünften Wagen fasse ich mit der linken Hand den Einstiegsgriff und wuchte mich so gut ich kann nach oben. Ich will meine Beine nachziehen, aber ich schaffe es nicht ganz, sie sind gefährlich nahe an den Rädern. Mit einem lauten Schrei hieve ich mich in den Waggon und schürfe mir dabei die Knie auf.
Tobias kommt nach mir in den Wagen und kauert sich neben mich. Ich umklammere mein Knie und beiße die Zähne zusammen.
» Lass mich mal sehen«, sagt er.
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