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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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benutzen zu können.
    Sie fuhren U-Bahn . Liran fühlte sich wie eingesperrt, beäugte jeden, der schon dasaß, ging oder dazukam. Doch er musste feststellen, dass die meisten nur etwas aus Papier bei sich trugen, was laut Nilah Zeitung genannt wurde. Er fühlte, wie sich sein Atem verkrampfte, sich alles enger anfühlte, wie ihn die neue Kleidung bedrängte und wie schlecht die Luft war. Nilah hingegen wirkte, als habe sie endlich wieder die Kontrolle über etwas, mit dem sie vertraut war und das sie kannte.
    Sie stiegen an einem Ort aus, der Jungfernstieg hieß, und Liran trat aus dem Gewölbe hinaus in eine Stadt, die er so noch nicht gesehen hatte. Die Römer hatten anscheinend lange Schatten geworfen, dachte er. Es wimmelte von Menschen, die so zahlreich wie die Steine zu seinen Füßen waren, doch er blieb neben Nilah und war froh, die Waffe auf seinem Arm zu fühlen. Er sah jeden böse an, der ihren Weg kreuzte, und dafür waren eine Menge böser Blicke nötig. Nilah knuffte ihn und sagte, dass er damit aufhören solle, doch er konnte nicht. All das, was er sah, war Bedrohung pur.
     
    Die Bögen waren ein Witz. Das seien keine Kriegsbögen, sondern Dinge, mit denen Adlige spielen mochten, um sich die zähe Zeit zu vertreiben oder um ihre Diener auf eine beschwerliche Suche zu schicken.
    Nilah hatte den Krieger so noch nicht erlebt. Es schien, als habe er mehrere Persönlichkeiten in sich, was vermutlich sogar stimmte. Jemand, der einen Baum und einen Wolf in sich trug, war sicherlich einigen Gefühlsschwankungen ausgesetzt, aber im Moment benahm er sich wie eine geladene Waffe in einer zittrigen Hand.
    Als sie am Morgen losgegangen waren und Nilah die Blicke der Menschen seltsamerweise genoss, die ein solch ungewöhnlicher Begleiter nun einmal auf sich zog, schien Liran noch recht entspannt zu sein. Er sah beeindruckend aus. Mit der schwarzen Cargohose, dem schwarzen Pullover und der schwarzen Seemannsjacke von ihrem Vater. Jedem Passanten fielen natürlich die blauen Linien auf, die aus dem weiten Rollkragen lugten und den Hals zierten. Aber es war nicht nur das. Liran war fast zwei Köpfe größer als sie, seine langen Haare, zu zwei dicken Zöpfen geflochten, umrahmten das energische Gesicht, dem man anmerkte, dass es vor nichts auf der Welt den Kopf beugen würde, und so schritt er neben ihr wie ein echter Krieger, und diese Haltung spürten auch die Leute um sie herum. Nilah fühlte sich wie eine Prominente, die einen furchteinflößenden Bodyguard dabeihatte, und konnte nicht leugnen, dass ihr das gefiel.
    Sie konnte nicht beurteilen, wie Hamburgs Innenstadt auf Liran wirkte, denn er ließ sich nichts anmerken, und Nilah wollte auch nicht zu einer Touristenführerin mutieren, indem sie ihre ohnehin eher dürftigen Kenntnisse über ihre Heimatstadt zum Besten gab. Also ließ sie es bleiben und konzentrierte sich lieber darauf, Liran durch die Menge zu lotsen, ohne dass er dabei jemandem weh tat.
    Es war ein typischer Tag in der Hansestadt. Die Wolken lagen wie ein graues, bewegungsloses Tuch auf den Dächern, und die Menschen flitzten geschäftig hin und her. Das Dröhnen der Busse waberte zwischen den Häusern, vager Essensduft hing in der Luft, und einmal musste sie Liran beschwichtigen, als nur ein paar Meter entfernt ein Polizeiwagen seine Sirene anstellte und zu einem Einsatz davonschoss.
    Sie hatte voller Hoffnung das Sportgeschäft betreten. Liran war ohne mit der Wimper zu zucken eine Rolltreppe mit nach oben gefahren, doch nun musste sie ihn zügeln. Er wurde immer unbeherrschter, und der Verkäufer immer kleiner.
    «Was ist das hier?», zischte er, als der Verkäufer offensichtlich erleichtert davonhastete. «Was hat der Kerl gemeint, als er Sportbogen sagte?» Liran war aufgebracht.
    Sie überlegte krampfhaft, ob es nicht ein Fachgeschäft für solche Dinge gab. Nur wo?
    «Beruhige Dich. Ich habe es Dir gesagt. Heute steht niemand mehr auf dem Schlachtfeld. Schon gar nicht mit Pfeil und Bogen. Heute schießen die Leute aus Zeitvertreib damit oder eben als Sport, Wettkämpfe, das wirst Du doch auch kennen, oder?» Seit wann gab es die Olympischen Spiele?
    Sie fuhren die Rolltreppe wieder hinunter und Nilah bemerkte, dass der Krieger angewidert die Luft anhielt. Vor ihnen stand eine Frau, die etwas zu viel Parfum aufgelegt hatte und ein schlechtes noch dazu. Als sie wieder auf der Straße waren, sah Nilah sich um und überlegte, was zu tun sei.
    «Ich bin hier, um Dich zu schützen, und ich kann

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