Die Bestimmung
wetzen, nicht meine.»
«Was soll das heißen?», fragte Nilah, die sich nicht vorstellen konnte, dass ausgerechnet ihr Beschützer dafür verantwortlich sein sollte. Tok ließ sie warten. Er betastete den Apfel, als wolle er feststellen, ob dieser auch frisch war. Dann biss er hinein und lächelte wieder.
«Dein glorreicher Held hat schon seinen Dolch bei den Erdtrollen liegen lassen und dass er hier mit ein paar alten Steinen kämpft und nicht mit seinem Schwert, sagt mir, dass er auch das auf der Insel verloren hat. Das bedeutet, der Einzige hat es nun, und dies wiederum bedeutet, dass er mittels seiner magischen Fähigkeiten der Aura des Schwertes gefolgt ist. Immerhin kennen sich die beiden und haben noch eine alte Rechnung offen.» Tok schmunzelte vergnügt.
Liran stand auf, der Rätselfinder rutschte etwas tiefer in den Sessel und sah bittend zu Nilah, doch die sagte nichts.
«Das Gleiche könnte man über uns beide auch sagen, Rätselfinder.» Der Krieger hatte ganz ruhig gesprochen, ohne jegliche Bedrohung, aber genau darin lag sie.
Tok blinzelte ein paar Mal nervös, und es schien, dass er sehr schnell einige Ereignisse im Kopf überschlug, um dann zu einem Ergebnis zu kommen. Plötzlich sah er Liran wesentlich freundlicher an und schwieg vielsagend.
Liran setzte sich wieder. «Es stimmt, ich habe meine Waffen zurücklassen müssen. Wenn Sunabru dadurch mich und somit auch Dich, Nilah, gefunden hat, so tut es mir leid.»
Tok grinste und schien sich einen Kommentar verkneifen zu müssen.
«Was willst Du hier?», fragte der Krieger nun mit rauer Stimme und räusperte sich.
«Ich will mit ihr reden», kam die Antwort. Er zeigte auf Nilah. «Allein.»
«Vergiss es, Rätselfinder, Du hast schon einmal versucht ...», er brach ab.
Nilah war der unvollendete Satz aufgefallen. Sie fragte sich, was da zwischen den beiden ablief. Eine alte, vielleicht sehr alte Angelegenheit?
«Warum?», fragte sie.
«Weil ich das unbestimmte Gefühl habe, nicht mehr lange auf dieser noch irgendeiner anderen Welt zu existieren. Ja, sieh mich ruhig traurig an, hübsches Mädchen. Der Wind wird sehr bald meine Zeit mit sich nehmen, und zwar für immer.» Tok wurde ernst. Er sah auf den angebissenen Apfel und schluckte schwer. Für einen Moment konnte man alte schreckliche Erinnerungen in seinen Augen förmlich sehen, und plötzlich hatte Nilah echtes Mitleid mit ihm. «Ich muss Dir etwas erzählen, dass Dir vielleicht das Leben retten wird. Aber ich kann und werde es nur Dir sagen, niemandem sonst. Das ist mein Schwur.»
Unter vier Augen
Liran war mit Daan in die Küche gegangen, um die gröbsten Schäden zu beseitigen. Doch er konnte nur daran denken, was so wichtig war, dass dieser Rätselfinder es Nilah nur unter vier Augen erzählen mochte. Daan nagelte eine große Holzplatte gegen das zerstörte Fenster, und Liran fegte missmutig die Scherben zusammen. Der Krieger fühlte das in sich gekehrte Schweigen von Nilahs Vater, aber er konnte sich nicht überwinden, es anzusprechen. Auch lag ihm schon seit Tagen eine ganz andere Frage auf den Lippen: Wo war eigentlich Nilahs Mutter?
Dann war es Daan, der das Schweigen brach. Er stand im Halbdunkel, denn das Licht kam allein von den Straßenlaternen herein und schmierte gelbliche Helligkeit in den Raum. Gegen die Arbeitsplatte gelehnt betrachtete Daan nachdenklich den Hammer in der Hand.
«Fühlt es sich immer so an, Liran?»
Der Krieger sah auf und legte den Handfeger beiseite. Er wusste, was mit dieser Frage gemeint war, aber er fand nicht die richtigen Worte, um zu erklären, was er selbst fühlte.
«Ja», sagte er deshalb nur recht leise.
Daan nickte deprimiert.
«Wie machst Du das? Ich meine, wie kannst Du so mutig sein und da 'raus gehen und tun, was Du eben tust? Weißt Du, ich komme sehr oft spät nach Hause. Nili schläft dann meist schon oder ist auf dem Dachboden und hört Musik. Manchmal schaue ich dann noch fern, am liebsten Dokumentarfilme», er lächelte gequält, «liegt wohl irgendwie im Blut. Sendungen über längst versunkene Reiche und uralte Schlachten, voll grausamer Rituale und rachsüchtiger Politik. Ich habe mich immer gefragt, was für ein Gefühl es sein muss, dort als Einzelner in einer Reihe von Tausenden auf einem Feld zu stehen, nur mit einem Schwert und einem Schild in der Hand. Und Dir gegenüber stehen ebenfalls Einzelne in den Reihen von Tausenden. Und dann rennen sie aufeinander zu, brüllen, schreien und jeder will den anderen
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