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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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töten.» Er seufzte tief. «Weißt Du, ich bin eigentlich Pazifist. Ich habe nie etwas davon gehalten, Dinge mit Gewalt zu lösen, aber das heute ...», er verstummte.
    Liran verstand ihn nur zu gut.
    «Wenn man auf solch einem Feld steht, ist man inmitten eines Traumes, der einem anderen gehört. Dieses Gefühl war für mich immer schlimmer, als die Angst zu sterben.» Liran hievte sich hoch und setzte sich auf den Küchentisch. «Als A´kir Sunabru mit seinen Schiffen auf meiner Insel landete, die Segel dunkel wie verbrannte Erde, da war es sein Traum, sich etwas zu nehmen, das ihm weder gehörte noch zustand. Es blieb nur die Wahl, es ihm zu geben und alles zu verlieren oder es ihm zu verwehren und dabei zu sterben. So steht man auf einem Feld, mit einem Schwert und einem Schild in der Hand. Man steht dort, weil ein anderer dir diese Wahl aufgezwungen hat. Mein Leben lang habe ich die Adligen und Könige verachtet. Denn es sind immer die Entscheidungen von Wenigen, die das Schicksal Vieler mit sich reißen. Das heute war nicht Deine Entscheidung, Daan. Es war erneut die eines Mannes, der herrschen will, koste es, was es wolle. Ich weiß, das ist kein großer Trost, aber es ist wie es ist.»
    Doch in seinem Kopf war ein ganz anderer Gedanke: Es ist nie wie es ist! Meine Schwester starb an diesem Tag vor meinen Augen! Ich schmecke ihr Blut noch immer in meinem Mund, als ich sie zum Abschied küsste. Aber das sprach Liran nicht aus.
    Daan kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe, während Liran fortfuhr: «Und wenn Du Dich fragst, wie ich das tun kann, was ich tue, vergiss nicht, woher ich komme. Ich bin mit dem Schwert aufgewachsen. Es mag hart für Dich klingen, aber ich hatte keine Skrupel, diese Schmerzbringer zu töten, damals so wenig wie heute. Denn tue ich es nicht, ist alles, was danach kommt, nur noch Sunabrus Wille. Dafür, Daan, werde ich töten, sterben und mein Leben letztendlich in die Hände des Windes selbst legen. Vielleicht hast Du heute etwas verloren, das Du nie wieder finden wirst. Aber Du hast Deine Tochter damit beschützt. Mache es bitte nicht zu etwas, das Dir wie eine Schuld die Schultern zerdrückt, sondern stehe weiterhin an ihrer Seite.»
    Lange sah Daan ihm schweigend in die Augen. Dann reichte er ihm unvermittelt die Hand, und als Liran diese ergriff und drückte, da zog Daan ihn zu sich heran und nahm in kurz, aber heftig in die Arme.
    «Ich weiß nicht, wo das alles enden soll, aber jetzt bin ich verdammt froh, dass Du da bist!»
    Etwas zögernd und umständlich gingen sie wieder auseinander. Jeder blickte für einen Moment betreten in eine andere Richtung.
    «Wann dieser Tok wohl endlich fertig ist?», murmelte Daan und seine Stimme klang eher erleichtert, denn fragend. Liran musste schmunzeln. Es war lange her, dass ein Vater ihn umarmt hatte. Es war eine seltsame Berührung gewesen, aber er hatte sie verstanden. Dann ging plötzlich das Licht draußen auf der Straße aus und tauchte die Küche in absolute Schwärze.
     
    Liran ließ es nicht zu, Zeit zu verlieren. Mit einer bestimmenden Schnelligkeit hatte er Nilah und Daan dazu gebracht, sich etwas Warmes aus ihren Zimmern zu holen und einige herabgestolperte Treppenstufen später standen sie alle im Garten und folgten dem Leuchten der Taschenlampe. Ihr Vater machte sich an dem Schloss des Schuppens zu schaffen. Der Krieger lauschte in die Dunkelheit und wirkte sehr nervös. Für einen kurzen Moment hatte Nilah sogar den Eindruck, er habe Schmerzen, denn er beugte sich schon zum zweiten Mal hinab und rieb sich mit intensiven Bewegungen die linke Wade.
    Nilah hatte dicke Socken in den Boots an und ihre Lieblingsmütze auf dem Kopf. Sie stand dort im Dunkeln und wunderte sich, wohin ihr Leben davonrannte. So fremdbestimmt wie es jetzt war, so ruckartig es sich immer wieder von ihr selbst entfernte, empfand sie plötzlich eine solche Hilflosigkeit, die sie geradezu aushöhlte.
    Der Krieger hatte diesen Weg gewählt. «Gibt es von hier einen Weg auf dem Wasser zu diesem Museum?», hatte er gefragt und Nilah hatte stumm genickt. Jetzt holte ihr Vater das Kanu, das auf Holzböcken stand, aus seinem Winterschlaf. Nilah kannte die Wasserwege Hamburgs besser als den Weg zur Schule. Für jemanden, der sich zum Wasser hingezogen fühlte, war Hamburg ein kleiner Traum. Die Stadt lag zwar nicht am Meer, aber man konnte hungrige Möwen schreien hören, das Salz der Ozeane riechen, sich dem seltsamen Fernweh beim Anblick der Schiffe hingeben

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