Die Bestimmung
beiden. Ihre Stimme hatte etwas von dem Gurgeln eines Baches. «Ich bin Morrin Mulligan. Nachbarin, Freundin und ab heute auch so 'ne Art Essensausgabe für hungrige Verwandte von Edda.» Ihr Englisch hatte eine seltsame Färbung, einen Akzent, als hätte sie lange Zeit eine ganz andere Sprache benutzt.
Hände wurden geschüttelt, dann stand man sich etwas ratlos gegenüber. Nilahs Vater räusperte sich und nicht nur das, er hatte eine gestreckte Haltung angenommen, wie ein Sportler, der gleich losrennen muss. In seinen Augen lag ein undefinierbares Glimmen. Nilah wurde von einer zweiten Attacke Eifersucht geschüttelt und fand als erste die Sprache wieder.
«Entschuldigen Sie, aber was machen Sie hier?»
Die Frau schien aus dem Konzept zu sein, lächelte ein wenig verlegen ihren Vater an und strich eine Strähne aus ihrem Gesicht, was Nilah fast wahnsinnig machte.
«Edda und ich haben uns sehr gut gekannt. Jeden Tag habe ich ihr etwas zu essen gebracht. Nun, und da ich wusste, dass Sie beide kommen, habe ich gedacht, ich bringe lieber etwas vorbei. Das Dorf ist weiter weg, fast versteckt, und außer einem guten Bier bekommen Sie da jetzt kaum noch etwas.»
«Oh, das ist aber eine ...», setzte ihr Vater an.
«Woher haben Sie denn gewusst, dass wir kommen?», fuhr Nilah dazwischen.
«Edda hat es mir gesagt!»
«Oma Edda hat Ihnen gesagt, dass wir hier herkommen?»
«Ja! Und dass ich etwas leckeres Vegetarisches kochen soll, denn Du isst ja weder Fleisch noch Fisch - so wie ich übrigens auch -, also habe ich ein herrliches Irish Stew mitgebracht, ohne Lamm natürlich.»
Da war das Eis zumindest angebrochen und während Nilahs Vater ob des Verlustes des Originalrezeptes seufzte, nahm Nilah die Nachbarin am Arm und ging mit ihr in die Küche.
«Ich helfe Ihnen», säuselte sie. Besser sie behielt sie im Auge.
Das Essen war herrlich. Sie saßen am großen Tisch im Wohnzimmer. Morrin hatte Torf im Kamin entfacht. Auf dem Tisch stand ein Kerzenleuchter, der ein seltsames Tier darstellte. Selbst gebackenes Brot wurde zerrissen und in dunkle würzige Soße getunkt. Ein ums andere Mal erklang ein verzücktes: Mhmm! aus den kauenden Mündern der beiden Städter. Es wurde viel gelacht, was auch an dem mitgebrachten Guinness lag.
Selten hatte sich Nilah so wohl gefühlt und so gemütlich gegessen. Morrin war von einer Konkurrentin zu einer Die-ist-gar-nicht-mal-so-übel-Frau aufgestiegen. Morrin konnte urige Geschichten erzählen, die von dusseligen Iren handelten, und offenbarte, dass sie neben irischem auch noch walisisches Blut in sich hatte.
«Was sollen diese fürchterlichen Landesflaggen eigentlich?», fragte sie irgendwann lachend.
«Ich meine, seht Euch doch mal diese Einfallslosigkeit an. Drei aneinander geklatschte Farben. Aus, mehr nicht. Wie soll ich denn da den Überblick behalten? Bei diesen Konferenzen sieht das aus wie auf einem billigen Kindergeburtstag, oder findet ihr nicht? Da benehmen die sich immer so staatsmännisch, aber die Flaggen sehen aus wie bemaltes Klopapier. Was für eine elende Langeweile! Noch einen Schuss Holy Water , Daan?» Die Flasche sah verdächtig nach einer aus dem Heck des halb verstorbenen Volvos aus. Heiliges Wasser ...
«Ja, danke. Nun jedenfalls ist sowohl die holländisch, als auch die deutsche Fahne nicht gerade ein Ausbund an Kreativität.» Er hielt ihr sein Glas hin. «Aber die walisische hat doch einen Drachen oder nicht?!» Morrins Mundwinkel zuckten: «Ja, so ist es!» Dann wechselte sie elegant das Thema.
Nilahs Vater hatte längst den Faden verloren. Er hatte Morrin mit Blicken dermaßen sondiert, als wäre er ein Beobachtungssatellit. Hatte sich auf die Schenkel geklopft vor Lachen, was er in den letzten Jahren eher selten getan hatte und ganz wichtig: Er hatte von seiner Arbeit erzählt, als wäre er wirklich stolz darauf. Das hatte er ebenfalls lange nicht mehr getan. Nilah sah, dass er diese Frau augenscheinlich mochte. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen sollte oder nicht.
Sie zeigte den beiden Eddas Brief und nachdem ihr Vater für Morrin die drei Zeilen übersetzt hatte, waren beide der Meinung, es handele sich um ein einfaches Willkommensgedicht. Nilah stellte das nicht sonderlich zufrieden. Sie wollte gerade fragen, ob Morrin wisse, wer den Brief auf das Bett gelegt haben könnte, aber dann knallte ein tiefes Bellen in ihre Überlegungen, dass sie ängstlich zur Tür schielen ließ.
«Ah, das wird Bran sein», rief Morrin erfreut, das Glas
Weitere Kostenlose Bücher