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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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unheilige Kraft bezieht.»
    Nilah ging dieses Kirchengeschwafel langsam auf die Nerven, aber ihr Vater sah den Pater gutmütig an.
    «Danke, dass Sie uns gefahren und aufgeschlossen haben Pater ... ähm ... Skelling», lächelte er.
    «Nichts zu danken», zwitscherte der Geistliche. «Und wenn Sie etwas brauchen oder Fragen haben, dann kommen Sie einfach zu mir.»
    «Ja, das machen wir ganz bestimmt ...», sagte ihr Vater und machte große Augen, wodurch sich seine Stirn in Falten legte. Nilah musste grinsen, denn sie wusste, dass das ungefähr so viel hieß wie: Ich hab schon in São Paulo die Favelas gefilmt, Du Komiker, und nun mach' Dich vom Acker.
    Doch Skelling bemerkte den ironischen Unterton. Seine Augen verrieten, dass er zu jenen gehörte, die sich so etwas zu merken pflegten. Er warf ihnen den Schlüssel zu und ging dann gemächlich hinaus. Kurze Zeit später entfernte sich knatternd der Volvo. Endlich waren sie allein. Die Dielen knarrten.
    «Komischer Typ!», stellte Nilah genervt fest und schnappte sich ihre Tasche. «Ich schlaf ' oben!», bestimmte sie, schon halb auf der Treppe.
    «Ja, das hab' ich mir gedacht.» Ihr Vater und blieb einen Moment unschlüssig stehen. Dann seufzte er ergeben und ging die kleine Treppe hinunter, die zu Eddas Schlafzimmer führte.
     
     

Hübscher und haariger Besuch
    Die ebenfalls von Balken getragene Decke maß höchstens ein paar Zeitungsseiten über zwei Meter. Das verursachte zwar eine gewisse Beklemmung, hatte aber auch etwas, das man gemütliche Enge nennen konnte. Nilah entdeckte als erstes das Badezimmer. Spartanisch war es eingerichtet. Toilette, Badewanne, Waschbecken, über dem ein runder holzgerahmter Spiegel hing – alles blitzeblank sauber. Aber Oma Edda war dreiundachtzig gewesen. Wie hatte sie alles so in Schuss halten können? Und überhaupt. Wofür waren diese beiden Zimmer und das Gästebad unten eigentlich bestimmt? Hatte sie etwa an Touristen vermietet? Die zweite Tür war tatsächlich verschlossen. Als Nilah ihr Ohr daran hielt, hörte sie nicht das Geringste. War wirklich eine Mauer dahinter?
    Die dritte Tür sah seltsam aus. Aus dunklem Holz wie alles in dem Haus, aber mit einem kaum erkennbarem Relief darauf. Nilah musste es sich von der Seite aus ansehen, damit das Licht sich darin besser brechen konnte. Es war kreisrund, etwa so groß wie ein Tortenboden, und hatte so viele Linien, dass man beim besten Willen kein Muster erkennen konnte. Aber es hatte irgendwie etwas Keltisches an sich. Nilah hatte vor ihrer Abreise ein wenig im Internet recherchiert, um zu wissen, dass die Kelten sehr verwirrende Muster benutzt hatten. Eben noch glaubte man des Rätsels Lösung zu haben, etwas ganz Offensichtliches auszumachen, aber dann, wenn man einzelne Linien mit den Augen nachzog, machte sich Staunen breit. Wo war der Anfang, wo das Ende? Was sollte es überhaupt darstellen? Oft waren es Bilder in Bildern und wenn es ganz schlimm kam, wusste man überhaupt nicht, was da abgebildet war. Nilah fuhr über einige der Linien mit ihrer Fingerkuppe. Spröde und hart fühlte sich das Holz an. Als sei diese meisterliche Schnitzerei nur noch ein Schatten ihrer selbst , dachte sie.
    Sie machte die Tür auf. War das Bad schon schlicht gewesen, so war das hier wirklich ein Muster an Zweckmäßigkeit. Ein breites Bett, eine Truhe an der Wand links davon – das war´s. Auf dem Fensterbrett stand noch ein eiserner Kerzenleuchter mit drei frischen dicken Kerzen darin, aber das war es dann wirklich. Kein Schrank, kein Tisch. Nilah zog verwundert die Augenbrauen hoch und trat langsam ein. Die Bretterbohlen unter ihren Füßen knarrten leise. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sah, was auf dem Kopfkissen lag.
    Ein kleiner Umschlag, vergilbt, aber straff, ruhte dort auf frischer, weißer Bettwäsche. Mit vor langer Zeit angetrockneter Tinte stand dort in anmutig geschwungenen Buchstaben: Nilah – mehr nicht.
    Nilah stellte ihre Tasche ab, beugte sich nach vorn und nahm ihn ganz behutsam auf, als wäre der Umschlag in irgendeiner Form gefährlich. Ihre Hand zitterte. Dieser Brief wurde vor sehr langer Zeit geschrieben, das begriff sie sofort. Er war sorgsam behandelt worden, denn nicht ein Knick oder dergleichen war zu erkennen. Als hätte er Jahre zwischen zwei Buchdeckeln verbracht, wie ein Blatt zum Trocknen. Nilah starrte den Umschlag an, schaute nach, ob vielleicht auf der anderen Seite etwas stand, das einer Erklärung nahe kam, aber auch dort

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