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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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liegt am Boden.»
    Liran stieg nun selbst über die Mauer, die das Haus umgab. Als er auf die Hinterseite kam, bemerkte er tiefe Hufabdrücke, die das hohe Gras zertrampelt hatten. Die vielen Bäume waren voller Schatten. Von weiter unten hörte er das Meer toben. Er ging vorsichtig die Stufen hinauf. Wie eine Festung wirkte das Haus. Schwaches Licht waberte durch den Raum, in den er sah. Die Tür war zersplittert, lag zur Hälfte mitten im Zimmer. Es knirschte, als Liran darüber ging. Es schien, als sei ein Sturm durch den Raum gezogen. Alles lag durcheinander, war umgekippt oder zerschmettert worden. Ein paar seltsame Stiefel schauten hinter etwas hervor, das irgendwie wie ein Thron aussah. Im Kamin züngelten schwach zwei letzte, fast veraschte Torfscheite, die keine weitere Nahrung mehr fanden. Der von Ihad besagte Körper lag auf dem Bauch. Regungslos. Ein eckiges Ding auf einem Tisch leuchtete und gab ein stetes Rauschen von sich.
    Der Krieger kniete nieder und drehte den Mann auf den Rücken. Die Lider waren geschlossen. Ein tiefer Schnitt war über seiner rechten Augenbraue. Das Blut war ihm über den Nasenrücken gelaufen. Liran legte seine Hand auf den Brustkorb und fühlte einen regelmäßigen Herzschlag. Neben ihm stand sein magischer Wolf.
    Das Tier zuckte mit den Ohren und schnüffelte dann an dem Mann am Boden. Dann ließ es den Blick durch das verwüstete Zimmer gleiten. Liran hatte noch nie einen Wolf aus solcher Nähe gesehen. Es war ein gänzlich unwirkliches Gefühl. Das Fell hatte so viele verschiedene Töne. Grau, braun, schwarz, ein wenig weiß. Die gelblichen Augen schauten wachsam und klug. Er hatte lange schlanke Beine und große Pfoten, die fast wie Schuhe aussahen. Der Kopf war schmal und hatte Züge, die einen vergessen ließen, wen man da eigentlich anblickte. Es war, als blicke man auf etwas vollkommen Vertrautes und zugleich Unbezähmbares. Wie ein Berg , dachte Liran. Du kannst dort hinaufsteigen, verstehen wirst Du ihn deshalb noch lange nicht. Das hatte Enya einmal zu ihm gesagt. Liran musste sich anstrengen, in den Moment zurückzukehren.
    «Hältst Du draußen Wache, Ihad?», fragte er und der Wolf verschwand wieder völlig lautlos durch die zerschlagene Tür.
    Als Liran sich wieder zu dem Mann drehte, sah er in ein paar blinzelnde Augen. Der Mund war leicht vor Staunen geöffnet. Es waren warme, braune Augen. Ähnlich wie die des Mädchens. Er musste ein Mann des Wissens sein. Das würde ihm weiterhelfen.
    «Haben Sie keine Angst!», sagte Liran in feinstem Norddeutsch, worauf er einen erschrockenen Blick erntete. Also versuchte er es in seiner alten Sprache, und das Gesicht des Mannes fing daraufhin zu strahlen an, zuckte aber gleich wieder zusammen, wegen der Wunde auf seiner Stirn.
    «Der Gezeitenkrieger ...», röchelte der Mann rau und Liran wich zurück. Das war nicht möglich. Niemand sollte davon wissen. Niemand durfte davon wissen! Langsam half er dem Fremden auf, der sich daraufhin stöhnend in den thronartigen Stuhl fallen ließ.
    «Woher wissen Sie ...»
    «Manche Geschichten werden weiter getragen, ob sie nun wollen oder nicht. Sie sind zu groß, genau wie jene, die von ihnen berichten. Ich kann es nicht glauben, dass Du hier bist. Mitten in meinem ...», er sah sich um, « ... was auch immer davon übrig geblieben ist!» Er sackte ein wenig in sich zusammen, der Krieger musste ihn stützen, damit er nicht zur Seite fiel.
    «Welche ... Geschichte meinst Du?»
    Der Mann erholte sich ein wenig und deutete auf eine Flasche, die über der Feuerstelle auf einem Sims stand. Liran gab sie ihm. Der Mann nahm einen tiefen Schluck daraus. Dann zog er ein kariertes Tuch aus der Tasche, goss etwas von der Flüssigkeit darauf und betupfte seine Stirn damit, wobei er schnell die Luft durch die Zähne sog. Vermutlich war es ein Heiltrank.
    Dann schien der Mann, der sich als Atticus Finch vorstellte, mehrere Dinge gleichzeitig zu erklären. Er sprach von seiner Jugend, nur kurz, aber intensiv, von seiner Leidenschaft zur Sprache der Iren und alten Sprachen im Allgemeinen. Immer wieder nahm er einen Schluck aus der bauchigen Flasche und je öfter er das tat, umso komplizierter wurden seine Erklärungen. Liran hatte höflich genickt, das erschien ihm irgendwie ratsam, während er den Kontakt zu Ihad spürte, der wie ein grauer Geist um das Haus herumschlich. Liran wusste, sollte etwas auch nur in seine Nähe geraten, das gefährlich sein könnte, wüsste er davon noch bevor es der

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