Die Bestimmung
Angreifer selbst wusste.
Atticus Sprache wurde zunehmend schwankend. Liran bemerkte, dass der Heiltrunk daran Schuld war. Viel zu spät erkannte er, dass der Mann einen Schock erlitten hatte. Er wusste, dass sich manche Menschen nach schlimmen Erlebnissen in die Geisterwelten zurückzogen, damit sie weiterleben konnten. Er wollte dem Mann die Flasche wegnehmen, brachte es aber nicht übers Herz.
Atticus Finch erzählte von Zeiträumen, aus denen der Krieger nicht schlau wurde. Er wirbelte Zahlen in die Luft wie Kunststücke. Er sprach von Christus, dieses Wort erkannte Liran wenigstens wieder, denn das Mädchen hatte es ebenfalls benutzt. Anscheinend war es ein recht bedeutender Tag gewesen, als dieser Christus geboren wurde. Dann berichtete Atticus von gewaltigen Kriegen und der Unfähigkeit der Menschen, auch nur einen Streit ohne Gewalt zu lösen. Ganze Welten hätten sich schwer bewaffnet gegenübergestanden. Millionen seien dabei umgekommen, mehr als diese Insel je fassen könne. Grenzen, Mauern, Religionen seien erbaut, gezogen und wieder gefallen, hätten sich erneut erhoben, um dann aufs Neue aufeinander einzuschlagen ... Dann schlief der Mann mitten in einem Satz ein und fing an zu schnarchen. Liran trat hinaus in die kalte Nacht.
Eines hatte er zumindest erfahren, das ihn seltsam tief berührte. Er hatte nach dem jungen Mädchen gefragt. Ja, sie sei mit einem Schriftstück zu ihm gekommen. Hübsche junge Dame. Wie sie geheißen hat? Nilah. Nilah van Arten.
«Nilah», flüsterte Liran und blickte hinauf zu den Sternen. Bei den dunklen Flecken des Mondes. Er fand, es war ein singender Name. Ein guter Name. Irgendwie dem seinen ähnlich. Und da war es wieder. Dieses Loch in der Brust, das sich gar nicht gut anfühlte.
Der Wolf trat an seine Seite und sah mit ihm zusammen auf das Meer, das so stark, wild und unheimlich war. Eine schmale einzelne Wolke zog wie ein Schwertstrich durch das Licht des trüben Mondes. In die Höhle zurückzukehren erschien ihm nicht besonders ratsam. Er wusste, dass dieser Atticus ihm helfen konnte, Nilah zu finden. Außerdem war er nicht besonders erpicht darauf, eine ganze Nacht lang mit Nainsi in einer dunklen Höhle zu verbringen, wo sie alle paar Herzschläge die Gestalt wechselte und ihm Unanständigkeiten ins Ohr hauchen konnte. Also ging Liran wieder ins Haus zurück.
Dieser komische rechteckige Klotz auf dem Tisch verlor bald sein Licht, behielt aber sein Summen bei. Davor lag ein anderes rechteckiges Ding. Es sah aus, als hätte man es aus vielen kleinen Steinen zusammengesetzt und Schriftzeichen darauf geritzt. Auch sie sahen griechisch aus. Wie auf dem Helm, den die junge Frau, Nilah, getragen hatte.
Liran ließ Ihad die halbe Nacht hindurch die Umgebung überwachen, während er versuchte zu schlafen. Die zweite Hälfte konnte der Wolf sich ausruhen. Es war gut, den Zauber so zu benutzen. Trotzdem schmerzte die Lücke, die Ihad vorher in ihm eingenommen hatte. Der Wolf war beeindruckend. Wie ein unhörbarer Schatten streifte er umher, und seine Augen und Ohren waren stets wachsam. Liran spürte, dass Ihad seine Aufgabe sehr ernst nahm. Es schien fast, als fühle sich das Tier als ein Teil von ihm und nicht umgekehrt. Der Zauber zwischen ihnen war stärker, warum wusste Liran nicht. Die anfängliche Zurückhaltung hatte der Wolf ganz aufgegeben. Er machte Gesten und leise Laute, die Liran dazu ermunterten, ihn zu berühren, ja sogar zu streicheln. Nie hätte er geglaubt, dass er einmal einem solch mystischen Wesen mit den Händen durch das unglaublich weiche Fell fahren würde, aber er tat es. Bei den Göttern, er tat es.
Der Mann namens Finch schlief tief und fest. Liran dachte über die Dinge nach, die er erzählt hatte. Ganze Welten hatten Kriege geführt? Wie konnte das sein? Millionen seien umgekommen. Wie viele waren Millionen? Er konnte sich darunter nichts vorstellen, also ließ er das Grübeln. Es brachte ohnehin nichts.
Langsam wurde es hell, und als Liran von seinem Rundgang um das Haus wiederkam, war der Stuhl, in dem der Mann gesessen hatte, leer. Dafür erklang von oben das Geräusch strömenden Wassers. Kurze Zeit später kam er die Treppe herunter und sah fürchterlich aus. Als er ins Zimmer trat, blickte er sich um, und dann betrachtete er Liran schweigend.
«Ist wohl doch kein Traum gewesen - verdammt!», murmelte er. Der Krieger stellte fest, dass Atticus nach schwerem, süßlichem Holz roch. Er sagte nichts, obwohl er einige Fragen hatte, die
Weitere Kostenlose Bücher