Die Bestimmung
irgendwie . Liran fühlte das warme weiche Fell, seine Hände krampften sich in den Nacken des Tieres und in seiner Brust heulte jemand aus vollem Herzen. Er stand auf und ging. Der Wolf sah ihm nach und dann verschwand er wie ein heller Schatten zwischen den Felsen.
Das Klackern ermahnte Liran, wieder zu laufen und auch wenn er glaubte, er liefe mehr in den Boden, denn auf ihm - es war nicht so. Immer weiter zogen sich die Geräusche der Kreaturen um ihn. Der Krieger begriff, dass sie versuchten ihn einzukreisen, um ihm den Weg abzuschneiden. Die Wut half ihm und so rannte er weiter, schneller. Rannte, bis er glaubte, die Welt bestehe aus nichts anderem mehr als aus diesen pulsierenden Bewegungen.
Näher und näher kam die Küstenlinie. Er schlug Haken durch die Felsen, raste sanfte kleine Hügel hinunter und ebenso flink wieder hinauf. Die Nacht zog brausend an seinen Ohren vorbei. Er spürte, wie etwas an ihm zog. Er betete zu allem, was er kannte, dass Nilah den Fluch gebrochen hatte. Das misstönige Klackern kam immer näher und die Panik vor dem Sprung zerstörte seine Gedanken, hinterließ nur kaltes Grauen. Er würde direkt in dieses Gesicht aus seinen Alpträumen hineinspringen müssen. Dieses wogende Antlitz aus Wasser, das ihm Zeit seines Lebens so viel Furcht eingeflößt hatte. Doch es gab keinen anderen Weg.
Dein Herz, dein Leben wird vergehen, wenn Du weiter willst, als die Meere sich dehnen. Jetzt würde er die Wahrheit erfahren!
Sein Atem überschlug sich fast, als er die letzten Meter vor sich hatte, wie der Boden unter ihm weg glitt, das offene Meer sich vor ihm ausbreitete, er die Wellen tosen hörte. Dann berührte sein rechter Fuß zum letzten Mal den Boden dieser, seiner Insel, als er sich von der Klippe abstieß. Mit einem lang gezogenen Schrei raste er auf das schäumende Meer zu. Der Wind fuhr flatternd in seine Ärmel. Er fiel so schrecklich schnell. Seine Zöpfe wirbelten um seinen Kopf herum. Er schloss die Augen. Und als er eintauchte, war es, als ob ihm eine riesige, kalte Wasserfaust alles Leben aus dem Körper drosch. Er sank. Er konnte die Augen nicht öffnen, er glaubte, das Meer würde in sie hineinfließen und seine Seele zerquetschen. Es knackte in seinen Ohren. Der Drang, Atem zu holen, wurde unwiderstehlich. Er sank noch immer. Eisige Kälte sauste in seine Eingeweide. Diese endlose Wasserwelt würde ihm gleich das Herz mit ewiger Furcht füllen, ihn mit Haut und Haaren … plötzlich fühlte er einen Sog. Etwas zog ihn nach vorn. Immer machtvoller wurde er durch das Meer geschoben, dass es ihm auf der Brust drückte und seine Lungen wie trockenes Laub zerpresste. Er fühlte, wie die Strömung seine Arme nach hinten riss, an seinem Gesicht und seinen Lidern zerrte. Er stieß einen dumpfen, ungehörten Laut aus. Alle Luft entwich, und dann öffnete Liran die Augen. Das Bild, das er sah, war sein Ziel. Eine mächtige, blau glühende Pfeilspitze mit einem kurzen Schaft raste vor ihm durch das schwarze Wasser, blieb nur einen Fingerbreit vor seiner Stirn, um diese dann kurz zu berühren. Eine spiralförmige Hand und ein Kreis waren auf ihrem Blatt, das über einen Schritt maß. Liran ergriff den Schaft und wurde dann mit unglaublicher Geschwindigkeit durchs Wasser gezogen. Den anderen Schmerz fühlte er gar nicht.
Und natürlich hatte er auch nicht die Kreatur gesehen, die dort oben auf der Klippe zufrieden die schwere Armbrust senkte.
Nilah trat auf die halb überdachte Terrasse hinaus. Ein wenig frische Luft würde ihr gut tun. Trübe, tiefhängende Wolken über Hamburg ließen fadendünnen Regen fallen und erstickten damit die Geräusche. Mensch und Tier hatten sich allerorten an trockenere Plätze verkrochen. Es war eine friedliche Stille. Die Kiefern, die dunkle Hecke zum Nachbargrundstück, auf der anderen Seite die Steinmauer, an der Efeu rankte, der Swimmingpool, in dem das gefallene Herbstlaub träge trieb, alles schien irgendwie erstarrt, wirkte unheimlich. Jetzt fröstelte sie, schlang die Arme um ihren Körper. Sie spürte, wie die nasskalte Luft durch ihre Socken kroch.
Der Traum kam näher und Nilah befiel eine summende Unruhe in ihrem Bauch. Es fühlte sich an wie bei ihrem ersten Kuss, auf einer Klassenfahrt, aufgeregt und unwissend. Eine Ewigkeit schien es her. Eine Mischung aus Angst und diesem: Da-musst-du-nunmal-durch-Gefühl.
Sie bemerkte, dass das Licht im Flur anging, welches jetzt, zusammen mit dem aus dem Wohnzimmer, eckige, blass schimmernde
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