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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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ohne in Panik zu geraten. Kees kann das. Also bin ich nicht nervös.«
    Im Bett liegt eine etwa fünfzigjährige Frau, die ruhig wartet. Sie schaut Suzan und Sjoerd freundlich an.
    »Es hat ein Weilchen gedauert«, sagt Suzan, »wir stellen noch alles bereit, was wir benötigen werden. Erschrecken Sie bitte nicht, der OP steht ziemlich voll.«
    Sie erkundigt sich, ob die Frau weiß, was gemacht wird, kontrolliert das Armband und fragt die Patientin, ob sie Angst vor der Operation hat.
    »Nein, nein. Es ist gut, dass das gemacht wird. Ich habe es satt, wie eine Behinderte zu leben, und kann mir nichts Schöneres vorstellen, als wieder zu arbeiten.«
    »Försterin«, antwortet sie auf Sjoerds Frage nach ihrem Beruf. »Klingt stark, aber in den letzten Jahren habe ich nur am Schreibtisch gehockt. Keine Puste, wissen Sie. Ich hoffe, dass ich anschließend wieder in den Außendienst kann. Also, legen Sie los.«
    Als sie im OP angelangt sind, stellt Kees sich vor und beugt sich dann über den Rücken der Patientin, um den Drain anzubringen. Suzan hält den Blick der Frau und legt ihr die Hand auf die Schulter. Sie achtet bewusst auf nichts anderes, nicht auf die Gefäßchirurgin, die ihre Vergrößerungsbrille aufprobiert, nicht auf den Laboranten, der sich mit einem Ultraschallgerät neben den Tisch stellt, und nicht auf Allard, der sich den Koffer mit den Opiaten vornimmt.
    »Wir sorgen dafür, dass Sie tief schlafen«, sagt sie. »Ich bleibe bei Ihnen und wecke Sie, sobald wir fertig sind.«
    Wie kann ich das sagen, denkt sie, das ist Schönrederei. Alles kann schiefgehen. Ich wiege sie fälschlich in Sicherheit. Sie tätschelt die Wange der Frau und sieht aus dem Augenwinkel, dass Sjoerd schon mit dem Intubationstubus bereitsteht.
    »Schlafen Sie gut, denken Sie an die Wälder. Bis später«, sagt sie.
    Zwölf Zentimeter breit ist das Aneurysma. Bei den Ultraschallbildern reagieren die Ärzte mit einem aufgeregten Aufschrei, so etwas sieht man nicht oft. Suzan und Kees machen sich beherzt daran, die Zugänge zu legen; die rechte Lunge wird beatmet, und die linke fällt zusammen, so dass die Chirurgen Platz haben. Allard hat die Propofolpumpe eingestellt und spritzt ein Schmerzmittel. Der letzte Teil der vorbereitenden Maßnahmen besteht darin, dass die Patientin so gut wie möglich in Position gebracht wird. Arme weit auseinander auf den Armstützen, Torso für das Skalpell entblößt. Wehrloser geht es nicht, denkt Suzan. Sie kontrolliert zum wiederholten Mal, ob die Gelkissen richtig liegen und Fersen, Ellbogen und Steißbein vor dem Durchliegen bewahren. Dann nickt sie dem Chirurgen zu.
    »Wir sind so weit.«
    Er schneidet sie durch. Mit einem schrägen Schnitt über den gesamten Körper macht er sie auf. Die Rippen müssen daran glauben. Mit Gewalt werden die Knochen auseinandergetrieben. Ein Schlachthaus, denkt Suzan, oder nein, eine anatomische Zeichnung, auf der alle Organe deutlich zu erkennen sind. Man kann sie anfassen. Man kann sie herausheben und wieder zurücklegen.
    Das Herz klopft wie wild. Sie sieht Allard an.
    »Ich habe gerade Fentanyl gegeben«, sagt er.
    »Dann gib noch etwas mehr, sie reagiert nicht sonderlich darauf.«
    Unterdessen kühlt die Frau ab, es scheint, als steige Dampf aus der klaffenden Wunde auf. Die Gefäßchirurgin auf der anderen Tischseite bittet Suzan, die Lupe auf ihrer Brille hinunterzuklappen. Danach beugt sie sich tief über den Brustkorb.
    »Ich will mehr Licht«, sagt sie.
    Kees befestigt einen dicken Schnürsenkel, ein Seil, eine blutige Binde an Haut und Bindegewebe oberhalb des offenen Thorax. Er klettert auf einen Hocker, macht das Seil an dem Querbalken fest, an dem die Beutel mit Infusionslösung hängen, und zieht es straff.
    »Jetzt den Tisch nicht mehr runterfahren, ja«, warnt er. »Sonst wird sie zerrissen.«
    Derweil arbeiten die Chirurgen weiter und zerstören alles, was ihnen in die Quere kommt, notgedrungen. Die Anästhesisten fangen den Schaden auf, indem sie verlorengegangene Substanzen nachfüllen. Suzan hängt Beutel mit Elektrolytlösungen an den Querbalken. Der Cellsaver schleudert kontinuierlich; übrig bleibt eine rote Paste, die wiederverwendet werden soll, während alles Flüssige durch einen Schlauch in einen weiten schwarzen Kübel fließt. Seltsame Kombination aus hoch entwickelter Technik und primitivem Campingzubehör, denkt sie. Sjoerd geht von Zeit zu Zeit hinaus, um den Kübel auszugießen.
    »Darf dieser Harnbeutel auch darin ausgeleert

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