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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Tode.«
    »Man weiß es vielleicht, aber in der Praxis zeigt sich, dass man es nicht in die Tat umsetzt«, sagt Luc ernst. »Dadurch kommt es zu Fehlern. Opfern.«
    »Ich wüsste nicht, wie mich so ein emporgestiegener Lastwagenfahrer vor einem Fehler bewahren könnte. Du schwärmst für diese Angeber wie ein Backfisch. Das ist doch alles Schaumschlägerei! Womöglich geben diese Heinis demnächst noch Kurse, an denen wir teilnehmen müssen, eine Horrorvorstellung! Wenn ich Pilot hätte werden wollen, wäre ich zur Luftfahrtschule gegangen.«
    »Reg dich nicht so auf, Rudolf.« Tjalling gesellt sich zu ihrem Grüppchen. »Dieses Trockenschwimmen, diese Übungen in einer Simulationskabine oder, bei uns, mit einer Puppe – das ist eine gute Sache. Ein bisschen experimentieren und testen, ohne dass es tödliche Folgen haben kann. Daran ist doch nichts auszusetzen!«
    »Ja, gut, im Rahmen der Weiterbildung vielleicht. Obwohl es Unmengen kostet. Was mich stört, ist die Idealisierung. Die Heldenverehrung.« Kronenburg sieht Luc wütend an. »Ich lass mir doch von so einem Lackaffen im Karnevalskostüm nicht vorschreiben, wie ich meine Arbeit zu machen habe. Und von dir auch nicht!«
    Luc erstarrt. »Nein. Deshalb vergisst du auch, den Sauerstoffschlauch zu kontrollieren, und dein Patient geht bei der Diathermie in Flammen auf«, sagt er kühl. Mit einem Mal ist es still. Suzan sieht die Sehnen an Kronenburgs Hals hervortreten. Das war eine scheußliche Tragödie gewesen. Im Brustraum des Patienten hatte sich ein Feuer entfacht, und er war auf dem Tisch gestorben. Sie blickt in die Runde. Luc steht unerschütterlich, mit fest aufeinandergepressten Kiefern da. Tjalling scheint etwas sagen zu wollen, doch in dem Moment dröhnt die Marschmusik wieder durch den Raum, gefolgt von Brams Stimme.
    »Meine Damen und Herren, der Hauptgang wird jetzt serviert. Nehmen Sie bitte einen Stuhl und setzen Sie sich neben ihr nettestes Speeddate. Vielen Dank!«
    Alle essen. Das schafft Ruhe. Die eingeschliffenen Handlungen – mit Messer und Gabel essen, nicht mit vollem Mund sprechen – befrieden die erhitzte Gesellschaft. Nach dem Hauptgang nehmen die Assistenten kichernd in einer Ecke des Saals Aufstellung und stimmen ein Lied an. Manche halten sich verlegen den Text vors Gesicht, andere trällern aus voller Kehle. Winston steht vorn und singt mit schöner, tiefer Stimme.
    Suzan hasst solche Darbietungen von Liedern oder Sketchen, ob bei einer Hochzeit oder bei einer Abschiedsfeier. Die Worte, falls sie überhaupt zu verstehen sind, entspringen meist reinem Pflichtgefühl, die Melodie ist praktisch immer schlecht gewählt und der Vortrag mangelhaft. Weil sie sich stellvertretend für die anderen schämt, hört sie nur mit einem Ohr hin. Eigentlich würde sie lieber auf den Gang hinausgehen, um Simone anzurufen. Dennoch bekommt sie mit, dass jeder der Anästhesisten sein Fett abkriegt. Plötzlich ist sie an der Reihe. Sie wird rot. Jetzt kann sie nicht weg, so ein Mist, wäre sie doch bloß zu Hause geblieben, warum hat sie sich nur von Peter antreiben lassen, der braucht schließlich nicht hier zu sitzen, dumm, dumm, dumm …
    Zu ihrer Verblüffung schildern die Assistenten sie in ihrem Lied als eine sympathische junge Abteilungsmutter, vor der sie keine Angst zu haben brauchen. Eine, die sie in Schutz nimmt und auf die sie zählen können. Sie weiß gar nicht, wie ihr geschieht. Es will ihr nicht recht in den Kopf.
    Sobald es geht, fischt sie ihr Handy aus der Tasche und verlässt den Saal. Simone nimmt nicht ab. Suzan hinterlässt eine kurze Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Bestimmt früh ins Bett gegangen. Vernünftig.
    Alle löffeln Eis, als sie zurückkommt. Wie gerne würde sie jetzt gehen. Aus Solidarität setzt sie sich neben Luc, zwischen ihm und Livia ist gerade ein Stuhl frei. Ich muss etwas Nettes sagen, denkt sie, ich muss ihn nach diesem Angriff von Kronenburg trösten. Aber ihr fällt nichts ein.
    »Du kannst mein Eis haben.«
    Sie schiebt ihm ihren Teller hin. Er lacht, und Suzan entspannt sich. Sie plaudert noch ein bisschen mit Livia und erhebt sich dann, um ihren Mantel zu holen. Sich zu verabschieden bringt sie nicht mehr fertig. Furchtbar unhöflich, denkt sie, das tut man einfach nicht. Innerlich schimpfend und fluchend, schleicht sie sich aus dem Saal.
    Es ist windig. Ihr Rock schlägt hoch, und nur mit Mühe kann sie ihren Mantel zuknöpfen. Sie hört die Restauranttür zufallen, Schritte, eine Stimme: »Kann

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