Die Betäubung: Roman (German Edition)
unbesehen seinem Chef. Das Urteil erfolgt einige Zeit später.
Allard regt sich maßlos darüber auf. Das sei legalisierte üble Nachrede und diene doch nur dazu, kritische Assistenten mundtot zu machen. Einen didaktischen Wert könne er in dieser Methode nicht erkennen.
Drik wagt einen Versuch: »Die Arbeit und die Ausbildung rühren alle möglichen Gefühle in dir auf. Gefühle, die dich mitunter überwältigen und dein Verhalten beeinflussen. Das ist unangenehm für dich und ungut für den Gang deiner Ausbildung. Wie wäre es, wenn wir uns diesen emotionalen Hintergrund einmal in Ruhe anschauen würden und du deine Gefühle währenddessen auf der Abteilung etwas besser zügelst? Meinst du, das wäre möglich?«
Allard sieht ihn unwirsch an. Ich bin der Henker, denkt Drik, das zuerst.
»Ich frage mich, ob die Tatsache, dass ich ebenfalls Psychiater bin, dir dabei im Weg steht. Dass du mir nicht vertraust, weil du mich als einen von denen betrachtest, einen, der im Grunde desinteressiert ist und mit Freuden foltert.«
Zu stark. Ich gehe auf sein Schwarzweißdenken ein. Und das ziemlich kindisch. Soll ich es nuancieren, soll ich sagen, dass ich vor allem Therapeut bin und erst an zweiter Stelle Psychiater? Ich bin zu geschwätzig, jetzt muss er mal was sagen, dann kann ich wenigstens einschätzen, was bei ihm vorrangig ist.
»Ich soll mich also bei der Arbeit anständig betragen, ist es das, was Sie mir sagen wollen?«
»Ich möchte nur nicht, dass du dir den Ast absägst, auf dem du sitzt, bevor wir überhaupt wissen, welche Motive dahinterstecken.«
Drik findet, dass er sich anhört wie ein strenger Vater, und fragt sich, ob er in irgendeine Falle getappt ist. Es klingt ja gerade so, als läge es in seiner Verantwortung, dass der Junge seine Ausbildung schafft.
»Du machst mir Sorgen«, sagt er. »Kannst du das verstehen?«
Tief in Allards Mantel, der auf der Couch liegt, klingelt ein Telefon. Allard fischt es umständlich aus der Manteltasche, schaut kurz aufs Display und drückt den Klingelton weg. Er wirft den Apparat auf die Couch und sieht Drik an.
»Entschuldigung. Die Abteilung.« Sie müssen beide lachen.
»Ja«, sagt Allard, »ich weiß zwar nicht, ob ich es verstehe, aber ich spüre es schon. Ich mache mir auch Sorgen. Seit diesem Vorfall, als ich weggelaufen bin, meine ich, ist die Supervisorin ziemlich kühl. Distanziert. Ich traue mich nicht mal, einen Termin mit ihr zu vereinbaren.«
»Und deshalb reagierst du auch nicht auf ihren Anruf.«
»Ich stecke den Kopf in den Sand. Sie finden bestimmt, dass ich mit ihr reden sollte. Muss ich auch. Aber dass sie die Spritze kurzerhand reingehauen hat. In diesem Röckchen. Einfach gruselig.«
»Sie macht dir Angst?«
»Na, so hört es sich ja wohl an, oder? Der Mann, der die Schocks verpasst hat, ist auch so ein Fiesling. Er ist jetzt in der Gerontopsychiatrie mein Ausbildungsbetreuer. Ein Sadist. Logisch, dass mir da bange ist.«
»Und wie ist es hier?« Drik versucht es noch einmal, aber es ist eine schwere Geburt.
Allard sieht ihn mit unerwarteter Offenheit an.
»Das weiß ich nicht so recht. Sie werden mir nicht mit Elektroden oder Spritzen zu Leibe rücken, das nicht. Aber ich bin auf der Hut, ich erwarte Missbilligung. Ich müsse das eben ertragen können, diese Gewalt auf der Abteilung. Das ist die Botschaft. Sie halten mich für einen Schwächling.«
»Du musst überhaupt nichts«, entgegnet Drik. »Und es wäre gut, wenn du dir bewusst machst, dass die Missbilligung deinem eigenen Kopf entspringt. Du dichtest sie mir an, aber du selbst verurteilst dich.«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass irgendwer etwas in mir sieht. Ja, meine Mutter vielleicht, aber die weiß nichts. Ich habe ein Mädchen kennengelernt, ich merke, dass sie in mich verliebt ist, aber ich kann das nicht verinnerlichen. Es kommt nicht wirklich bei mir an. Ich werde sie bestimmt enttäuschen, und dann zeigt sie mir die kalte Schulter, da bin ich mir sicher. Das hat mir an diesem Anästhesisten so gut gefallen: Er hat alles akzeptiert. Da kommt so ein völlig unzugänglicher, tief depressiver Patient, der sich total hängen lässt und einem mit seiner Schwermut wirklich den letzten Nerv rauben kann, und dieser Mann ist einfach lieb zu ihm. Fürsorglich! So möchte ich auch gerne sein.«
»Meinst du nicht vielleicht, dass andere so zu dir sein sollten? Niemand mehr, der dich ablehnt oder tadelt, eine Welt ohne Feindseligkeit. Du erzähltest, dass sich deine
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