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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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ist es nicht.«
    »Und wie ging es weiter?«
    Suzan blickt durch die offene Tür auf Roos’ Profil. Roos hört atemlos zu und ist mit Sicherheit davon überzeugt, dass sie ihre Pläne sehr wohl verwirklichen wird. Das muss man in dem Alter auch glauben, sonst kommt man zu nichts.
    »Wenn du dann einen Mann hattest, war Schluss. So war das damals. Ich wollte keinen Mann. Ich schloss meine Ausbildung ab und machte noch die Zusatzausbildung zur Säuglingsschwester. Da bekamst du dann eine Nadel mit einem kleinen Storch darauf. Muss hier noch irgendwo liegen. Ich wollte alles lernen und wissen, deshalb konnte ich nicht verlobt oder verheiratet sein. Ich wurde schon in sehr jungen Jahren stellvertretende Oberschwester. Auf der Inneren, meiner Lieblingsstation. Ich träumte durchaus davon, Medizin zu studieren, weißt du, es gab damals schon Frauen, die Ärztin wurden. Meistens Kinderärztin. Wie das zeitlich und finanziell gehen sollte, wusste ich zwar nicht, aber ich dachte schon darüber nach. Hendrik war auch bereit, mir zu helfen, er hatte eine gute Stellung.«
    »Aber es lief anders, hm?«
    »Es lief ganz und gar anders. Hendrik stand plötzlich allein da, mit zwei noch sehr kleinen Kindern. Eine Tragödie. Er war völlig kopflos. Er konnte keinen Haushalt führen, und ein Baby versorgen schon gar nicht. Da habe ich gekündigt und bin zu ihm gezogen. Von dem Moment an war Hendriks Familie mein Beruf.«
    »Wie schlimm für dich. Es muss doch schrecklich gewesen sein, dass du das Krankenhaus aufgeben musstest!«
    Leida verrückt offenbar mit Gewalt ihren Stuhl, Suzan hört ihn über den Boden schrappen.
    »Natürlich war das schrecklich. Aus meiner damaligen Sicht. Ich habe es aber nie bedauert. Es hat sich so ergeben, und es war klar, dass es so und nicht anders zu sein hatte. Ich habe daraus gelernt, dass man nicht zu weit im Voraus planen sollte. Und sieben Jahre lang habe ich immerhin mit ungeheurem Vergnügen gearbeitet und gelernt. Das bleibt. Später hat es mich sehr gefreut, dass meine Interessen offenbar auf die Kinder abgefärbt haben. Sie haben beide Medizin studiert. Was Drik dann schließlich damit angefangen hat, sagt mir nicht sonderlich zu, aber in Suzan erkenne ich das Interesse wieder, das ich auch immer hatte. Physiologie, Biochemie, Anatomie. Ich höre sie gern über ihre Arbeit sprechen. Nein, kein Bedauern. Es ist, wie es ist.«
    Roos schweigt. Suzan betritt das Zimmer, verschanzt hinter der Vase mit den Rosen.

13
    In den Wochen nach seinem Ausflug ins Krankenhaus und seiner Konfrontation mit der Elektrokrampfbehandlung hört Allard gar nicht mehr auf, von dem Anästhesisten zu sprechen, den er dort kennengelernt hat. Drik hört sich die Lobeshymnen mit wachsender Verärgerung an und weiß nicht recht, wo er mit eventuellen Interventionen ansetzen soll. In Allards Abwertung der Psychiatrie steckt ohne Zweifel eine gehörige Portion Wut, die ihm und seiner fruchtlosen Therapie gilt, aber sie scheint auch dazu zu dienen, die Angst abzulassen, die der Junge auf seiner Abteilung durchmacht. Drik hält die Idealisierung der Anästhesiologie für Aggressionsabwehr. Vielleicht verbirgt sich darin auch die Sehnsucht nach einem fürsorglichen Vater. Alles möglich. Welchen Faden soll er aufgreifen, womit ist seinem Patienten am meisten geholfen? Das ist keine analytische Überlegung, die Analyse will nicht per se, dass es dem Menschen bessergeht. Sie will verstehen. Was dann aufgrund dieses Verständnisses geschieht, ist weniger wichtig. Drik ist da anderer Auffassung, er möchte gern, dass die Psychotherapie den Menschen guttut. Worunter leidet Allard, von welchen Gefahren sieht er sich bedroht?
    Er riskiert, seinen Weiterbildungsplatz zu verlieren, wenn er seine Angst vor den Patienten nicht überwindet, wenn seine Haltung weiterhin seine unterschwellige Wut auf die Psychiater verrät. Die letzten Beurteilungen waren nicht gut. Verwundert hört sich Drik an, welche Beurteilungsmethoden heutzutage in der Weiterbildung angewandt werden. »360°-Beurteilung« heißt das neueste Verfahren. Der arme Assistent muss Fragebogen an ein Dutzend Leute verteilen – Kollegen, Fachärzte, Pflegekräfte, Patienten, Sekretärinnen –, die anonym benoten dürfen, wie gut oder schlecht sie ihn zum Beispiel im »Umgang mit den Patienten«, in der »Kollegialität« oder in seinem »professionellen Verhalten« einschätzen. Der Benotete sammelt die ausgefüllten Fragebogen eigenhändig wieder ein und übergibt sie

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