Die Betäubung: Roman (German Edition)
Patienten, als wollten sie ihn gegen den Lärm um ihn herum abschirmen. Es gelingt Allard, einen venösen Zugang zu legen und den Mann in Schlaf zu versetzen. Dann erst sehen sie sich an.
»Hat er keine Angehörigen?«, fragt Allard. »Es ist überhaupt niemand da. Und das nach so einem Unfall, der Ärmste.«
»Darüber wissen wir nie Bescheid. Aber tragisch ist es schon. Was soll aus so einem Mann werden? Pflegeheim, denke ich.«
Da der Eingriff Schritt für Schritt mit dem Röntgengerät verfolgt wird, müssen alle eine Bleischürze umlegen. Der Chirurg, ein kleiner Mann mit ernsten Augen, lässt sich in den sterilen Kittel helfen, den er darüber trägt. Er heißt Hjalmar, aber in diesem seriösen Kontext traut sich Suzan nicht, ihn mit seinem Vornamen anzusprechen.
»Doktor Kooiman, wir intubieren jetzt.« Der Chirurg nickt.
Suzan führt einen Doppellumentubus ein, damit sie einen Lungenflügel beatmen kann. Der andere Flügel fällt in sich zusammen, wodurch dem Chirurgen mehr Raum für seine Arbeit bleibt. Es funktioniert reibungslos. Sie legt einen zentralen Venenkatheter. Und einen Arterienkatheter. Mit vereinten Kräften positionieren sie den Patienten in Seitenlage, mit dem Arm über dem Kopf, damit der Brustkorb freiliegt. Dann decken sie alles mit grünen Tüchern ab. Der Kopf des Mannes verschwindet darunter.
»Sieht aus, als ersetze der Monitor jetzt seinen Kopf«, sagt Allard. »Und der Videoschirm seinen Thorax. Alles aus zweiter Hand.«
Kooiman zieht unbeirrt Striche auf dem Brustkorb. Mit seiner sanften Stimme bittet er regelmäßig um Aufnahmen. Anhand der Bilder bringt er die Inzisionen an und schiebt die grünen Kunststoffports hinein.
Der Operationssaal wird immer voller. Suzan sieht Tjalling hereinschlüpfen, mit Fotoapparat, um diesen aufsehenerregenden Eingriff festzuhalten. Der Zähler, der anzeigt, wie oft während der Operation eine Tür aufgeht, tickt mit hoher Frequenz. Kooiman scheint es nicht zu merken. Er hantiert mit seinen Greifern und Zangen und kontrolliert seine Bewegungen auf dem Videoschirm. Der eingefallene Lungenflügel liegt wie eine graue Decke hinter dem Rückgrat. Man sieht die dicke Aorta, die sich windet wie ein Gartenschlauch unter Wasserdruck. Allard schiebt die Hand unter das Tuch und befühlt die Stirn des Patienten.
»Bisschen schwitzig«, sagt er. Suzan justiert die Schmerzmittelzufuhr. Sie stehen auf dem kleinen Raum zwischen dem Patienten und dem Narkosegerät, aber sind sich nicht im Weg. Die beiden Anästhesiepfleger haben nichts zu tun und unterhalten sich über ihren Urlaub.
»Schau dir mal die Sauerstoffsättigung an«, sagt Suzan besorgt. »Viel zu niedrig. Was ist denn da los?«
Sie blicken beide auf den Monitor. Zu wenig Sauerstoff im Blut. Suzan bückt sich, um inmitten des Kabelgewirrs den Weg des Sauerstoffschlauchs zu verfolgen. Sie kriecht unter den Tisch. Dort liegt Allard bereits auf den Knien, um die Anschlüsse zu kontrollieren. Sein Mundschutz ist heruntergerutscht.
»Ich kann keine undichte Stelle finden. Alles in Ordnung.«
Das gefilterte, grünliche Licht fällt auf sein ernstes Gesicht. Wir sitzen in einem Campingzelt, denkt Suzan, gleich gehen wir hinaus in die Dünen und hören das Meer.
»Sättigung sechzig«, ruft jemand.
»Ich glaube, ich weiß, woran es liegt.« Allard lacht erfreut auf. Suzan schiebt sich näher zu ihm hin. Was hat er überlegt, was macht ihn so froh? Mit beiden Händen zieht er ihren Mundschutz nach unten. Dann umfasst er ihr Gesicht und küsst sie. Wie selbstverständlich öffnet sie den Mund, als sie seine Lippen fühlt. Zähne berühren sich, Zungen beginnen zu tanzen.
»Sättigung fällt auf fünfundfünfzig!«
Allard kriecht zwischen den Tüchern hervor und richtet sich auf. Suzan sieht, wie sich seine Füße bewegen, und hört, was er sagt.
»Siehst du, sein Arm ist eingequetscht. Der Finger ist nicht gut durchblutet. Soll ich den Sensor an einem Zeh anbringen? Nimm mal und reich ihn weiter, Suzan, ich komme auf deine Seite rüber.«
Sie nimmt den weißen Clip und reicht ihn Allard hoch, sowie sie seine Clogs auf der anderen Seite des Patienten auftauchen sieht. Dann bündelt sie Schläuche und Kabel, damit keiner der Chirurgen darüberstolpert oder versehentlich darauftritt. Kooimans Kollege hat seine OP-Clogs abgestreift und arbeitet auf Socken.
Als sie unter dem Tisch hervorkommt, blickt das gesamte Anästhesieteam bewundernd auf den Monitor. Ausreichend Sauerstoff im Blut. Messfehler.
Weitere Kostenlose Bücher