Die Betäubung: Roman (German Edition)
weißt du, dass wir nicht solistisch arbeiten sollen, sondern als Team. Wieso ich das nicht hinkriege. Was soll man darauf antworten?«
»Du bist natürlich auch verdammt eigensinnig. Hast du früher Fußball gespielt?«
Er schüttelt betrübt den Kopf.
»Mannschaftssport, nein. Fechten, das hab ich gern gemacht. Ich bestimme gern alles selbst. Das führt dann schon mal zu Reibungen, das stimmt. Ich habe quasi eine Abmahnung bekommen und drei Monate Zeit, mich zu bessern. Gott steh mir bei! Dazu Zwischenberichte von mir selbst und einem erfahrenen Kollegen, der zu meiner Besserung beitragen soll. Gott steh ihm oder ihr bei! Unglaublich müde macht mich das.«
In der hinteren Ecke des Raums sieht Suzan Allard, der sich mit einer Anästhesiepflegerin unterhält, der Marokkanerin Leila. Sie schmunzelt.
»Das ist nicht zum Lachen. Das ist das reine Trauerspiel. Und scheinheilig natürlich. Er sagt nicht, dass ich ein schlechter Anästhesist bin, aber insgeheim glaubt er das natürlich schon. Nein, angeblich geht es um den Mehrwert des sogenannten Teams. Als ob die paar festgefahrenen Pfleger und Kardiotechnikerärsche irgendetwas zur Sache täten! Er hält es für lehrreich, wenn wir ein Auge aufeinander haben und einander Schnitzer unter die Nase reiben. Eine Abmahnung! Wenn es nicht besser wird, müssen wir ›uns voneinander trennen‹. Das ist doch die Höhe! Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, kam er zum Schluss auch noch damit: Ich bin für das Simulationstraining eingeteilt worden. Wie findest du das! Da kann ich in sicherer Umgebung meine Gruppentauglichkeit entwickeln, verstehst du.«
»Das ist aber wirklich prima. Ich habe schon ein paarmal mitgemacht. Da werden dir Zustände aufgetischt, die du in Wirklichkeit nie erlebst.«
»Mir reicht die Krise, die ich sehr wohl erlebe. Ich fühle mich taxiert und verurteilt. Das darf ich aber nicht denken, sondern die Kritik soll mir ›helfen‹. Bah.«
»Ich muss wieder weiter. Wenn dir die Simulation zusagt, kannst du ja in die Arbeitsgruppe gehen und dir selbst Krisensituationen ausdenken. Ist vielleicht besser für dich.«
»Hat er schon gefragt! Mach ich auch, im Rahmen meiner Besserung.«
Angewidert wendet Rudolf sich ab. Er winkt freundlich, als sie zu Allard hinüberläuft.
Ich gehe einfach auf ihn zu, denkt sie. Er muss mit, das Programm muss laufen, und die Arbeit darf nicht darunter leiden. Worunter? Es ist nichts passiert.
Als sie nach Hause radelt, ist sie zufrieden. Sie hat Allard allein arbeiten lassen, der Patient war gesund, es war ein kleiner Eingriff, und sie war ja zur Not dabei. Allard war von sich selbst überzeugt. Sie rüttelte nicht daran, befragte ihn nicht – was hättest du gemacht, wenn der Blutdruck gestiegen, wenn es zu einer Blutung gekommen, wenn die Temperatur in die Höhe gegangen wäre? Im Aufwachraum saß Leila am Bett des Mannes mit der Querschnittslähmung.
»Er hat einen Neffen, der morgen kommt, aus Frankreich!«
Sie sah kurz nach dem Mann, fast beschämt über das Unglück, das ihm widerfahren war. Die Schmerzen schienen unter Kontrolle zu sein, die Lunge funktionierte passabel. Sie konnte nichts mehr machen. Sie dankte Leila.
»Gute Idee von dir«, sagte sie zu Allard. Sie verabschiedeten sich im Flur zwischen den Damen- und den Herrenumkleideräumen. Sie haben sich angesehen und »Bis morgen« gesagt.
Peter hält sich an sein Vorhaben und nimmt Suzan mit in die Stadt. Als wäre ich eine andere, denkt sie, eine aufgeräumte, in sich ruhende, geschmackvoll gekleidete Frau, die nicht zu schnell ihr Glas leer trinkt und ihrem Mann interessiert zuhört. Je später der Abend, desto stimmiger wird diese Rolle. Die gelenkige Anästhesistin, die mühelos ins Campingzelt taucht und sich von ihrem Supervisanden küssen lässt, hat sie abgelegt. Bis sie sich erheben und Peter sagt: »Wir gehen. Du musst schlafen. Morgen ist wieder ein Tag.«
Sie verspürt ein Kribbeln in der Magengegend. Ein neuer Tag. Morgen.
17
Es ist Herbst geworden. Wenn Allard am Ende des Tages zu seiner Therapiesitzung kommt, müssen die Lampen angemacht werden. Das Sprechzimmer ist dank Driks gehamstertem Glühbirnenvorrat in warmes Licht getaucht. Das therapeutische Bündnis scheint synchron mit der Beleuchtung in eine neue Phase zu treten: von störrisch und stockend zu fließend und freundlich.
Die Arbeit tut dem Jungen gut, denkt Drik, er fühlt sich gewürdigt. Jetzt, da er keine so große Angst mehr zu haben braucht, gesteht er
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