Die Bettelprophetin
Er wandte sich wieder an den ersten Soldaten. «Was ist nun mit diesem Rittmeister?»
«Der ist gar kein Rittmeister net.» Der junge Soldat mühte sich sichtlich, schriftdeutsch zu sprechen. «Das bindet er nur den Weibern auf die Nas. Der ist ein ganz liedriges Bürschleund ein Lugenbeutel obendrein. Er heißt Kasimir Eichele und ist grad mal ein Second-Lieutenant.»
Theres war vor Entsetzen ganz bleich geworden. «Und wo – wo finde ich ihn?», stotterte sie.
«Da musst schon nach Ludwigsburg wandern. Den haben sie gestern z’rück in die Kriegsschul beordert. Bist übrigens net das einzige Mädle, das nach ihm fragt! Welcher Tag bist du?»
«Ich versteh nicht …» Sie ärgerte sich, dass dieser Bursche sie so unverfroren duzte.
«Bist du der Montag oder der Mittwoch oder der Samstag? Der hatte nämlich für jeden Wochentag ’ne andre.»
Tränen der Wut schossen ihr in die Augen. Wortlos schob sie sich durch die Männer hindurch und stürzte aus der Halle. Ohne zu wissen, wohin, lief sie durch die vollen Gassen, bis sie schließlich zur Donaubrücke gelangte und ihr sich ein Wächter in den Weg stellte.
«Halt, nicht so eilig. Ihr Passierschein.»
Jetzt erst entdeckte sie den Schlagbaum hinter dem Mann, mit dem bairischen Wappen darauf.
Sie schüttelte stumm den Kopf.
«Dann können Sie auch nicht weiter.»
«Theres? He, Theres! Bist du das?»
Der Ruf kam von der anderen Seite des Schlagbaums. Eine junge Frau in pastellgrünem Kleid, ganz nach der Mode mit knappsitzender Samtjacke darüber und einer mit plissierter Seide bezogenen Schute auf dem Kopf, wedelte aufgeregt mit dem Arm. Wäre da nicht der viel zu grell eingefärbte rote Federschmuck gewesen, man hätte sie für eine reiche Bürgersfrau halten können.
Theres traute ihren Augen nicht.
«Sophie?»
Die junge Frau schürzte ihre Röcke, zwängte sich durch denDurchlass neben dem Wachhäuschen und trippelte auf sie zu, so schnell es ihre spitzen hohen Schuhe erlaubten.
«Nein, das fass ich nicht!» Sie warf sich Theres in die Arme. «Meine Theres hier in Ulm! Ich fass es nicht!», wiederholte sie.
Jetzt begann Theres richtig zu weinen, aber diesmal waren es Tränen der Erleichterung.
«Ach, Theres, meine liebe Freundin!» Auch Sophie begann zu schniefen. «Wie hab ich dich immer vermisst!»
Mit einem Spitzentüchlein tupfte sie Theres und sich selbst die Tränen ab. Theres bemerkte die falschen Ringellöckchen und die tropfenförmigen Silberohrringe und auch die etwas zu dick aufgetragene Schminke. Ihre Freundin trat einen Schritt zurück, um sie eingehend zu mustern.
«Aber – du weinst doch nicht nur wegen mir, oder? Herrschaftszeiten, du siehst ja richtig elend aus. So abgemagert und so – verzweifelt.»
Theres brachte kein Wort heraus.
«Sag jetzt nichts. Weißt was? Ich lad dich ins Caféhaus ein. Warte.» Sie zog aus ihrem Täschchen eine Puderdose und einen winzigen Tiegel mit Lippen- und Wangenrot und begann mitten auf der Brücke, Theres’ Gesicht herzurichten. Der Wächter von eben grinste nun breit.
«Da gibt’s nix zu feixen, Theodor, ich warn dich. Das ist meine beste Freundin. Puh, ist mir heiß.»
Sophie zog ihr Jäckchen aus und streifte es Theres über. «Steht dir gut.»
Theres nickte verschämt. Sie wusste genau, warum Sophie das tat. Weil sie in ihrem schäbigen, rinnsteinfarbenen Kleid aussah wie eine Vogelscheuche.
Nicht nur den Brückenwächter – halb Ulm schien Sophie zu kennen! Auf dem Weg zurück in die Stadt nickte sie hierhin und dorthin, manchmal mit einem versteckten Augenzwinkern,was Theres nicht entging. Die Frage, wie Sophie nur so hoch aufgestiegen sein konnte, hätte ihr normalerweise auf der Zunge gebrannt. Doch der Schmerz über Kasimirs infamen Verrat war weitaus stärker als ihre Neugier.
Bis auf drei alte Damen mit knittrigen Gesichtern saßen in dem hallenhohen Raum nur vornehm gekleidete Männer, die bei einem Tässchen verführerisch duftenden Bohnenkaffees über das Weltgeschehen plauderten oder müßig in der Zeitung blätterten. Und das an einem helllichten Montagmittag! Andererseits wunderte sich Theres seit ihrer Zeit bei den Schönfärbers über gar nichts mehr, was die bürgerlichen Kreise betraf.
Sie fühlte sich reichlich unbehaglich in dieser Gesellschaft, zumal die Blicke der Männer an ihnen beiden zu kleben schienen.
«Was darf’s sein, Fräulein Sophie?»
Ein junger Kellner war an ihren Tisch getreten.
«Was meinst, Theres? Lieber Kaffee oder heiße
Weitere Kostenlose Bücher