Die Bettelprophetin
Chocolade?»
«Ich weiß nicht. Chocolade hab ich noch nie versucht.»
«Dann bestell ich uns zwei Tassen davon. Dazu eine Platte mit Mandeltörtchen. Hier gibt’s die besten in der ganzen Stadt.»
In der Porzellantasse schwamm ein dicker Klecks geschlagener Sahne, auf die ein dunkles Pulver gestreut war. Theres schob vorsichtig ihren Löffel hinein, um das Kunstwerk nicht zu zerstören, dann leckte sie ihn ab.
«Und?»
«Es schmeckt irgendwie bitter.»
«Du musst es mit der Sahne verrühren, die ist schön süß. Ach herrje, Theres, ich seh schon: Du hast nicht viel Gutes erlebt seit unsrer Zeit in Weingarten.»
«Das stimmt nicht», erwiderte sie trotzig. «Ich war Stubenmädchenin Ravensburg, bei den Schönfärbers, wie du’s empfohlen hattest. – Aber da warst du ja längst nicht mehr in Tettnang», setzte sie fast vorwurfsvoll hinzu.
Sophie seufzte. «Herrje – das war eine dumme Sache, damals bei den Allgaiers. Reden wir lieber nicht drüber.»
Der Kellner brachte die Platte mit den kunstvoll aufgetürmten Mandeltörtchen. Dabei strahlte er Sophie an, als sei sie eine Grafentochter. Doch die hatte nur Augen für ihre Freundin. Belustigt beobachtete sie, wie Theres die Mandeltörtchen hintereinander wegaß, besser gesagt: in sich hineinschlang.
«Halb verhungert bist du auch. Hast du denn keine Arbeitsstelle?»
«Ja. Das heißt, nein. Bis heut Morgen hab ich auf einem Bauernhof nicht weit von hier gearbeitet.»
«Als Stallmagd?»
«Ja, als Stallmagd. Mein Gott, was guckst du mich so an? Ist das irgendwie schändlich? Oder stinke ich nach Gülle?»
«Was bist so empfindlich? Erzähl mir lieber, was du hier in Ulm machst.»
«Ich – ich hab dich gesucht.»
«Auf der Donaubrücke?»
«Überall.» Sie starrte auf das hübsche hellblaue Tischtuch. Neben ihrer Tasse hatte es dunkle Sprenkler abbekommen, und der junge Kellner würde mit ihr schelten. «Überall», wiederholte sie mit dünner Stimme. «Seit vielen Jahren schon.»
Sophie fasste nach ihrer Hand.
«Es tut mir wirklich leid. Ich hätte mich bei dir melden müssen, als ich von den Allgaiers weg bin – aber es war alles so ein Durcheinander.» Sie seufzte. «Wenn ich denk – fünf Jahre ist das schon her.»
«Es hieß, du hättest mit dem ältesten Sohn angebändelt. Und dann hätten sie dich weggejagt.»
«Pah! Von wegen! Der Kerl hatte mich ständig angelangt, und als mal die alten Herrschaften außer Haus waren, hatte er mich in sein Zimmer gezerrt. Da hab ich es zum ersten Mal machen müssen.»
«Was?»
Sophie schielte nach rechts und links, dann senkte sie die Stimme. «Seinen Schniedel kneten, bis es ihm kommt. Er hat mir fünf Kreuzer geschenkt und ein Stück Confect. Als er mich das nächste Mal geholt hat, wollt ich nicht. Da hat er mir gedroht, allen zu verraten, dass ich aus der Speisekammer einen Ring Wurst geklaut hab. Da hab ich halt mitgemacht, aber dafür zehn Kreuzer verlangt. Irgendwann einmal hat uns dann seine blöde Schwester erwischt, mittendrin, und alles verpetzt. Na, und da musst ich noch am selben Tag mein Bündel packen. So, jetzt weißt du’s.» Um ihre Mundwinkel zuckte es. «Bestimmt verachtest du mich jetzt.»
Theres schüttelte heftig den Kopf. «Aber nein! Ich versteh’s bloß nicht. Für zehn Kreuzer – so was Ekelhaftes!»
«Meine Güte, so arg war’s auch nicht. Du tust grad so, als wär Weingarten ein Nonnenkloster gewesen. Oder hat dich der Marder nie angelangt?»
Theres fiel der Löffel aus der Hand. «Nein!»
Und innerlich setzte sie hinzu: «Der nicht.» Denn sie musste plötzlich wieder an Kasimir denken. Wie schamlos sie sich diesem Betrüger hingegeben hatte, war ja wohl noch weitaus verwerflicher.
«Schon gut, lassen wir das. Erzähl jetzt – was hast du vor? Willst du hier in der Stadt bleiben?»
«Ich weiß nicht. Zurück zu den Bauern kann ich nicht. Da bin ich heut Morgen abgehauen, ohne was zu sagen.»
«Und wo sind deine Sachen?»
Theres stieß ein bitteres Lachen aus. «Ich hab nix mehr. DasWertvollste, was ich hab, trag ich auf dem Leib. Alles andre sind Lumpen, das können die Kleinbubs meinetwegen verbrennen. Nur das hier hab ich noch – erinnerst du dich?» Sie zog die beiden Holzpferdchen aus der Schürzentasche und stellte sie nebeneinander auf den Kuchenteller. Die Farbe war nicht mehr zu erkennen.
Vorsichtig nahm Sophie die kleinere der Figuren in die Hand. «Du hattest damals gesagt, ich dürfte immer damit spielen – das hab ich nie vergessen. Und das
Weitere Kostenlose Bücher