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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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unvergleichlich heftigere Leidenschaft, ein Maß an Aufwallung, Taumel und Glut, welches ins Unendliche zu steigern sie sich so sehr gesehnt hätte. Ein Taumel, der durch den Vollzug der Vereinigung jäh beendet wurde. Aber sie sagte sich, dass solche Dinge reifen müssten, zumal die Liebe zwischen ihnen zweifellos vorhanden war. Kasimir hatte ihr sogar versprochen, sich bald schon offiziell und öffentlich mit ihr zu verloben, im Rahmen einer kleinen Feier mit seinen Kameraden. Und sie hatte ihm, bevor sie sich ihm ein zweites Mal hingab, das Versprechen abgerungen, sich nur ja rechtzeitig in acht zu nehmen, um sie nicht in die Hoffnung zu bringen. Ohne zu zögern und mit einem liebevollen Lächeln hatte er dies beteuert, obwohl doch Theres vom Hörensagen wusste, welche Kraftanstrengung dies für ein rechtes Mannsbild bedeutete. Im gleichen Atemzug hatte er ihr sein Wort gegeben, sie für den Herbst an der Ulmer Industrieschule für Mädchen anzumelden.
    «Dann musst du nie wieder Sauställe ausmisten oder dich so verlausten Bauern wie den Kleinbubs andienen. Was das andre betrifft», er hatte sie zärtlich zu streicheln begonnen, «ein schönes Vorspiel ist das eine, das aber nur dem Eigentlichen dient. Du wirst sehen, bald wirst du diesen einzigartigen Actus, wo Mann und Frau eins werden, ebenso heftig herbeifiebern wie ich. Hab nur Geduld.»
    Beim dritten Mal erschien Theres das, was Kasimir als «Actus»bezeichnete, fast schon vertraut, auch wenn es ihr nicht die erhoffte Erfüllung brachte. Auch blieb es für dieses Mal merkwürdig nüchtern zwischen Kasimir und ihr: Mit dem Küssen hielt er sich nicht lange auf, mit Streicheln und Berührungen ebenso wenig, und ihr Mieder schnürte er erst gar nicht auf. Er schien gehetzt, machte den Eindruck, als habe er es schrecklich eilig mit der Liebe, und Theres war nur heilfroh, dass sie ihn in Liebesdingen auch gänzlich anders kennengelernt hatte.
    Den folgenden Sonntag wartete Theres vergeblich auf ihn vor der Fischerhütte, ebenso wie den nächstfolgenden und den übernächsten und den ganzen Mai und Juni hindurch. Kasimir von Eichborn tauchte nie wieder auf.

20
    Oberamtsstadt Ulm, Sommer 1844
    «Rittmeister von Eichborn?» Der Soldat schüttelte den Kopf. «Kenne ich nicht.»
    Theres stand vor dem Portal des turmhohen Lagerhauses und holte tief Luft. Kreuz und quer war sie durch Ulm geirrt, dabei immer auf der Hut vor hinwegpreschenden Reitern oder schwerbeladenen Fuhrwerken, die Brocken von weißem Kalkstein zu den Baustellen brachten und kein bisschen Rücksicht auf die Fußgänger nahmen. Hatte sich durchgekämpft durch die überfüllten Gassen der Innenstadt und sich am Ende die Ohren zugehalten in diesem brausenden, lärmenden Durcheinander, bis ein mitleidiger Passant sie schließlich gefragt hatte, ob er ihr helfen könne. Der hatte sie dann auch hierher zum Salzstadel geschickt, wo während des Festungsbaus Pferde und Waffenarsenal untergebracht waren, und gemeint, einen Rittmeister würde sie dort wohl am ehesten finden.
    «Nein», wiederholte der Soldat, «den Namen Eichborn hab ich nie gehört.»
    Ihr Blick irrte hin und her. Hier wimmelte es von Militär, zu Fuß und zu Pferd, viele der Soldaten sprachen mit bairischem oder österreichischem Zungenschlag. Wie sollte da dieser Mann, den sie mit dem Mut der Verzweiflung einfach angesprochen hatte, jeden Einzelnen kennen?
    Sie schien ihm leidzutun, denn er wandte sich, obwohl er bereits im Gehen begriffen war, noch einmal zu ihr um.
    «Nun, vielleicht irre ich mich auch. Ich bin Offizier im Ingenieurkorps von Major von Prittwitz. Möglicherweise ist Ihr Rittmeister ja einer von den Ludwigsburger Pionieren. Kommen Sie mit.»
    Er führte sie in den Pferdestall, der im Erdgeschoss untergebracht war. Dutzende von Tieren standen hier zwischen den Säulen der Gewölbedecke, und ihr Auge suchte unwillkürlich nach Kasimirs hellem, elegantem Fuchs. Vergeblich.
    Ihr Begleiter winkte eine Gruppe von jungen Männern heran, die dieselben Waffenröcke und Stiefel trugen wie Kasimir. Theres’ Herz schlug schneller.
    «Kennt ihr einen Rittmeister von Eichborn? Die Jungfer hier sucht ihn.»
    Einer der Männer grinste breit. «Jetzet sag bloß – da kann doch nur der schöne Kasimir g’meint sein.»
    «Aber a Jungfer ist die dann scho glei gar net mehr!», rief ein anderer, und alle brachen in schallendes Gelächter aus.
    «Doucement, meine Herren, ich möchte doch um Haltung bitten», wies der Offizier sie zurecht.

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