Die Bettelprophetin
Leibhaftige! Sie begann vor Schreck zu weinen.
«Du Armes.» Patriz Seibold hielt sie fest im Arm. «Vertrau mir nur. Ich werde alles tun, um dich zu heilen. Der Dämon wird bald keine Macht mehr über dich haben.»
Dann erklärte er ihr, was er vorhatte, um das Böse aus ihr zu vertreiben und ihre Seele der ewigen Verdammnis zu entreißen.
«Hast du etwas dagegen, wenn die Menschen aus meiner Pfarrgemeinde dabei sind? Es sind alles ehrliche, rechtschaffeneLeute vom Land, und ihr fester Glauben wird uns unterstützen.»
Sie nickte. Ihr war nun völlig gleichgültig, wohin sie fuhr, was mit ihr geschah, ob sie leben oder sterben würde. Sie fühlte sich über alle Maßen erschöpft. Selbst das Atmen wurde ihr zur Last. Und doch spürte sie, dass ihr im Moment nichts Besseres geschehen konnte, als neben Pfarrer Seibold in der Kutsche zu sitzen. Alles andere würde sich zeigen.
Sie fuhren unter dem kühlen Bogen eines mächtigen Torhauses hindurch. Unter halbgeöffneten Lidern sah sie, wie dichte Menschentrauben ihnen entgegendrängten, mit Armen, die sich in die Luft streckten, mit Worten, die an ihr Ohr drangen: «Da kommen sie! Da kommen sie!»
Von allen Seiten strömten sie herbei, und bald war ihre kleine Kutsche umringt von einer wogenden Menge, über der sich wie ein Fingerzeig Gottes der helle Doppelturm einer Kirche erhob.
Drei Tage lang kämpfte Patriz Seibold mit dem Satan einen erbitterten Kampf. Man hatte Theres in die Pfarrstube gebracht. Alle Kreuze mussten daraus entfernt werden, da Theres allein bei ihrem Anblick zu schreien begann, dass ihr die Augäpfel hervortraten, ja selbst das Kreuzzeichen, das als Mittel zur Austreibung von Dämonen ausdrücklich empfohlen war, durfte in ihrer Gegenwart nicht erfolgen. Mit Weihwasser und Räucherwerk aus Weihrauch und Myrrhe, mit Reliquien und geweihtem Öl kämpfte der Pfarrer gegen den Beherrscher der finsteren Welt, der die Menschen an der Erlangung des ewigen Heils zu hindern suchte, kämpfte mit Handauflegen, Anblasen, Ausspucken, mit dem Entzünden von Kerzen und dem Läuten von Glocken, vor allem aber mit Worten. Tag und Nacht, allein oder gemeinsam mit den Menschen seiner Gemeinde, beteteer Glaubensbekenntnis und Vaterunser, rief immer wieder beschwörend den Namen Jesu Christi, den jedweder Dämon als Sohn Gottes kannte und fürchtete.
Bei jedem Fluch, bei jedem unflätigen Wort, das von Theres’ Lippen kam, rief Seibold lautstark und mit erhobenen Armen: «Verstumme und fahre aus von ihr! Verstumme und fahre aus von ihr!» Dann zerrte der Geist sie hin und her, wälzte und schüttelte sie, dass eine Schar von Menschen sie halten mussten.
Am vierten Tag, am Tage Maria Namen, verließ der Dämon Theres unter lautem Gebrüll. Danach lag sie eine Weile wie tot, und eine junge Frau am Kopfende ihres Bettes, das man in die Stube gestellt hatte, begann haltlos zu weinen. Patriz Seibold strich Theres über die Stirn, und sie richtete sich auf.
«Wer sind all die Menschen hier? Wo bin ich?»
«Im Pfarrhaus zu Weissenau.»
Theres blickte sich verwundert um. In einem blütenweißen Hemd lag sie inmitten einer fremden Stube, umringt von fremden Menschen, die dichtgedrängt den ganzen Raum ausfüllten und sie teils neugierig, teils ergriffen anstarrten. Dennoch hatte das so gar nichts Beängstigendes, im Gegenteil. Alles hier war warm und licht. Vielleicht aber träumte sie ja nur?
«Lasst uns beten.» Seibold betrachtete Theres mit einem Blick voller Freude, als sie die Hände faltete. «
Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen.
»
Nach dem gemeinsamen Vaterunser nahm er ihre Hand, auf seinem Gesicht lag ein warmherziges Lächeln: «Wir haben es geschafft, Theres. Es ist vorbei.»
Eine runzlige Alte in der Tracht einer Haushälterin verzog den Mund. «Das ist es wohl. Aber dafür hat der Herr Dekan eine schriftliche Rüge verfasst, weil Sie ohne Billigung des Bischofs den großen Exorzismus vorgenommen haben.»
«Wenn’s nur das ist, Käthe, wenn’s nur das ist! Jetzt muss Theres erst mal zu Kräften kommen. Da verlass ich mich ganz auf dich und deine gute Hausmannskost. – Und ihr andern: Geht nach Hause. Heute Abend sehen wir uns in der Kirche zum Lobpreis.»
Da erst erkannte Theres die zierliche, auffallend blasse junge Frau, die sie mit tränennassem Gesicht anstarrte und sich auch jetzt, nach Seibolds Aufforderung, nicht von der Stelle rührte. Sie traute
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