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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ihr anfangs noch schwer, und sie musste sich das kurze Wegstück hinüber zur Kirche an Käthes Arm festklammern. Mehr und mehr Gläubige, zumeist Frauen, fanden sich dort mit ihr zum täglichen Gebet ein und knieten vor der uralten Madonnenfigur über dem Muttergottesaltar nieder, um zu Maria, zu den Engelnund den Heiligen zu beten. Schulter an Schulter knieten sie, Pauline stets dicht neben Theres, und Theres war, als wüchse diese Gemeinschaft zu einem einzigen Wesen zusammen, dessen Mittelpunkt und Haupt zu ihrem Erstaunen sie selbst war, die doch zu den Elendsten und Ärmsten zählte. Das hätte ein befreiendes Gefühl sein können, wäre da nicht hoch über ihr dieses mächtige Gewölbe gewesen. Seine bunten Deckenbilder zum freudenreichen Rosenkranz, diese leuchtenden, kräftigen Farben lasteten so unhaltbar schwer auf ihren Schultern, dass sie schon beim ersten Mal, gleich nach dem Glaubensbekenntnis, vornüber zu Boden sank. Es dauerte keine drei Tage, da taten es die anderen ihr nach.
    Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ohnehin hätte sie sich in diesen ersten Tagen am liebsten irgendwo verkrochen, um allein zu sein und sich nicht rühren und mit irgendwem sprechen zu müssen. Doch sie beruhigte sich damit, dass sich das Aufheben um ihre Person bald legen würde. Gewiss hatte es mit dem Herrn Pfarrer zu tun, der in den Augen der Leute hier ein kleines Wunder bewirkt hatte. Gleichwohl erfüllte sie eine große Dankbarkeit gegenüber Pfarrer Seibold und den anderen Menschen dieser Gemeinde, die sich alle so liebevoll um sie sorgten. Die Tür der Pfarrstube stand jederzeit offen, man kam und ging zu jeglicher Tages- und Nachtzeit, um an ihrer Genesung teilzuhaben, ein Gebet mit ihr zu sprechen oder ihr eine Kleinigkeit zu schenken. Sogar Fabrikant Erpf, ein Duzfreund und offenbar enger Vertrauter des Pfarrers, suchte sie einmal auf und brachte ihr ein Kleid samt blütenweißer Schürze, und erst nach Seibolds energischem Drängen hatte sie es gewagt, das kostbare Geschenk anzunehmen.
    «Wie im Taubenschlag geht’s hier wieder mal zu», schimpfte die Haushälterin. «Und jetzt, wo du da bist, noch ärger!»
    «Es tut mir leid», entschuldigte sich Theres. Zu Käthes größtem Missfallen schneite fast jeden Tag irgendwann Pauline herein, die ganz in der Nähe als Magd in Stellung war.
    «Hat die denn gar nix zu tun bei sich auf dem Hof?», maulte Käthe dann.
    «Lass sie doch, Käthe. Sie stört ja niemanden.» Doch insgeheim wunderte sich Theres, dass ihre einstige Gefährtin in der Gemeinde genau dieselbe Rolle einzunehmen schien wie damals im Vagantenheim.
    «Ich mag sie aber nicht leiden. An ihr ist was Bigottisches. Er ist nicht echt, ihr Glaube!»
    Theres verteidigte sie: «Sie hat’s ganz schwer gehabt, als kleines Kind. Vor ihren Augen ist ihre Mutter zu Tode gestürzt, und ihre Schwester ist seither stumm.»
    Bald wurde es selbst Theres zu viel mit ihrer Freundin aus Kindertagen. Wie ehedem heftete sich Pauline an ihre Fersen, las ihr jeden Wunsch von den Lippen ab, beschwor sie ständig, mit ihr zu beten. Einmal hauchte sie: «Gott hat dich auserwählt, uns auf den richtigen Weg zu führen», um hernach in Ohnmacht zu fallen.
     
    Nachdem Theres sich gerade ein wenig gefangen hatte, des Nachts wieder schlafen und bei den Mahlzeiten wieder mitessen konnte und während der Sonntagsmesse beim Klang der Orgel sogar vor Freude und Glück zu weinen begann – da kehrte es ganz plötzlich zurück, das Dunkle, Schwere, Schmerzvolle. Zum ersten Mal morgens beim Rosenkranzgebet, etwa zwei Wochen nach ihrer Ankunft: Bislang hatte sie nach dem Salve Regina stets die Augen geschlossen, um sich ins Gebet zu versenken, doch diesmal trieb etwas sie an, auf das Gesicht der heiligen Mutter Gottes zu starren, und tatsächlich: Es bewegte sich. In den Mundwinkeln hatte es gezuckt, auch rund um dieAugen, und plötzlich hatte das sanftmütige Gesicht einen bösen Ausdruck angenommen.
    Von diesem Moment an ergriff eine Unruhe von ihr Besitz, die sich steigerte, bis sie keine Handreichung mehr verrichten konnte, ohne aufzustehen und umherzulaufen. Dabei erschrak sie über das kleinste Geräusch, über jeden Hahnenschrei, jedes Türenknallen zu Tode, vermochte nachts nicht länger als ein, zwei Stunden am Stück zu schlafen. Doch statt Erholung brachte der Schlaf ihr Traumbilder, die sie schweißnass erwachen ließen: ihr Bruder mit seinem abgehackten Fuß, ihre Mutter mit aufgelöstem Haar in eine Zwangsjacke

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